Für eine konkurrenzfähige Wirtschaft brauche es Grundlagenforschung, ist Wilhelm Krull überzeugt.

Foto: Volkswagen-Stiftung

Klaus Taschwer sprach mit ihm über den Kampf um die besten Köpfe, die asiatische Herausforderung und die Geisteswissenschaften.

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STANDARD: Sie sind seit kurzem Aufsichtsratsvorsitzender des FWF. Wie schätzen Sie die Rolle von Österreichs wichtigster Förderagentur für Grundlagenforschung im internationalen Vergleich ein?

Krull: Der FWF erfüllt eine überaus wichtige Rolle, die Leistungsfähigkeit der erkenntnisorientierten Forschung in Österreich zu sichern und auszubauen. Ich denke, dass er das in den letzten beiden Jahrzehnten hervorragend gemacht hat, nicht zuletzt durch die Ausweitung seines Portfolios auf personenbezogene Förderungen wie die Start- und Wittgesteinpreise, aber auch auf kollektive Förderungen wie die Forschungsschwerpunkte. Da der FWF bei den Begutachtungsverfahren stark auf internationale Beteiligung setzt, hat er - ähnlich wie dieDeutsche Forschungsgesellschaft (DFG) oder vergleichbare Einrichtungen in anderen Ländern Europas - wichtige Schritte getan, um die Spitzenleistungen aus Österreich international sichtbarer zu machen und zugleich die Chancen auf Drittmittel aus der Europäischen Union deutlich zu verbessern.

STANDARD: Wie beurteilen Sie seine finanzielle Ausstattung?

Krull: Der FWF hat über die letzten acht bis zehn Jahre sein Budget deutlich steigern können - ganz ähnlich wie die vergleichbaren Forschungsförderungseinrichtungen in anderen europäischen Ländern. Beim Übergang von der vorherigen zur jetzigen Regierung ist dann aber leider ein Systembruch beim Wachstum passiert, der äußerst schmerzlich ist.

STANDARD: Was schmerzt dabei besonders?

Krull: Zum ersten musste der Wettbewerb um Exzellenzcluster aufgeschoben werden, der analog zur deutschen Exzellenzinitiative konzipiert war. Zum zweiten wurden einige dringliche Pläne zur personenbezogenen Forschungsförderung und an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit, die ebenfalls dringlich wären, vorläufig zurückgestellt. Drittens schließlich wurden die Overheads eingestellt, also ein zusätzlicher Finanzierungsanteil bei Drittmittelprojekten. Der wäre gerade für die Universitäten essentiell, damit man sich nicht dort durch die zusätzlich Bereitstellung von Grundausstattung für solche Drittmittelprojekte „zu Tode siegt", wie es einmal ein Rektor in Deutschland formuliert hat. Immerhin gibt es einen Konsens mit der neuen Wissenschaftsministerin, dass die Overheads wieder eingeführt werden sollen.

STANDARD: Was sagen Sie zum Vorstoß des Wissenschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl, sich in Österreich bei der Förderung ganz auf anwendungsorientierte Forschung zu konzentrieren?

Krull: Dieser Vorstoß passt gut in ein Verhaltensmuster, dass man quer durch Europa kennt: In Krisenzeiten wollen Wirtschaftsverbände eine Mittelumverteilung in Richtung Privatwirtschaft. Dazu muss man sehr klar sagen, dass es bei einer so starken Anwendungsorientierung über kurz oder lang nichts mehr anzuwenden gibt, weil man erstens keinen innovativen Input aus der Grundlangenforschung und zweitens keine mit den neuesten Erkenntnisse und Methoden vertrauten jungen Forscher mehr hätte. Und ohne diesen qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs kann auch die österreichische Wirtschaft nicht konkurrenzfähig sein.

STANDARD: Apropos konkurrenzfähig: Wie sieht es mit dem Kampf um die besten Köpfe im internationalen Kontext aus? Können wir da noch mithalten?

Krull: Der Kampf um die besten Köpfe wird immer härter, auch und vor allem im transatlantischen Kontext. Das war ja auch der Hauptgrund, warum ich in verschiedensten Kommission an der Gründung des Europäischen Forschungsrates (ERC) mitgewirkt habe und auch die Kommission geleitet habe, um die Exzellenzinitiative in Deutschland weiterzubringen. Die besten Köpfe aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz werden selbstverständlich international umworben und dafür brauchen wir etwas, das im mitteleuropäischen Bereich noch nicht ausreichend vorhanden ist: eine Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft.

STANDARD: Warum wäre die so wichtig?

Krull: Der Ausbau des Universitätssystems in Deutschland und Österreich erfolgte vielfach nach dem Gesichtspunkt der Regionalisierung - also neue Universitäten dort zu gründen, wo es vorher noch keine gab. Viele dieser Unis sind in den internationalen Rankings unter den Top 500 zu finden, was angesichts der rund 20.000 Universitäten und Hochschulen, die es weltweit gibt, gar nicht schlecht ist. In der absoluten Weltspitze sind wir aber nicht vertreten, weil unser System bislang in der Spitze nicht in Richtung Weltklasse weiterentwickelt wurde.

STANDARD: Was müsste man dafür tun?

Krull: Es wäre notwendig, durch Clusterbildung von universitärer und außeruniversitärer Forschung an jeder Uni einige wenige strategische Schwerpunktbildungen zu betreiben - und zwar mit Blick auf die internationale Konkurrenz. In diese Richtung würde ja auch der vorläufig wieder abgesagte Wettbewerb um Exzellenzcluster in Österreich zielen, um die bereits vorhandenen Stärken weiter zu stärken.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die ersten Erfahrungen der deutschen Exzellenzinitiative?

Krull: Durchweg positiv. Es zeigt sich nämlich, dass man mit solchen Exzellenzverbünden in bestimmten spezialisierten Fachbereichen durchaus im Einzelfall gegen Harvard und andere US-Top-Unis reüssieren kann, sprich: Die Topleute hier zu halten oder sie von außen nach Deutschland zu holen.

STANDARD: Hat das womöglich nicht auch damit zu tun, dass es den US-amerikanischen und britischen Top-Unis finanziell gerade nicht so toll geht?

Krull: Die US-Top-Unis haben zwar 2008 und 2009 finanziell schwer gelitten. Ich glaube aber nicht, dass sie mittelfristig an Konkurrenzfähigkeit einbüßen. In Großbritannien ist die Situation etwas anders: Durch die große Abhängigkeit von den staatlichen Zuwendungen ist das britische System bei Kürzungen weitaus anfälliger. Aber auch da würde ich davon ausgehen, dass die größeren Colleges mit eigenem Privatvermögen - also gerade die in Oxford und Cambridge - wenig geschwächt sind.

STANDARD: Und wie ist das mit der Konkurrenz aus Asien?

Krull: Die ganz große Kontinentalverschiebung vollzieht sich bereits in Richtung Fernost, was sich an allen Trendanalysen ablesen lässt. Aus den Publikationszahlen im naturwissenschaftlichen Bereich ist ablesbar, dass der asiatisch-pazifische Raum zwischen 2015 und 2018 nicht nur die USA überholen wird, die ihrerseits zumindest bei der Anzahl der Publikationen Mitte der 1990er-Jahre von Europa überholt wurden. Etwa um 2020 wird der asiatisch-pazifische Raum dann wohl auch Europa überholen und zum größten Wissenschaftsraum der Erde werden.

STANDARD: Lässt sich diese Entwicklung gar nicht aufhalten?

Krull: Quantitativ sicher nicht. Die Konkurrenz um die Spitze wird uns jedoch in den nächsten Jahren mehr denn je beschäftigen. Und dafür brauchen wir eine Kultur der Kreativität, die Durchbrüche in bestimmten Bereichen zu fundamental neuen Erkenntnissen begünstigt und ganz besonders fördert. In dem Bereich haben wir auch noch gegenüber den US-Amerikanern einen Konkurrenznachteil, den wir unbedingt kompensieren müssen.

STANDARD: Bei all den Diskussionen ist von den Geistes- und Sozialwissenschaften eher wenig die Rede. Zugleich scheinen die durch Einsparungen besonders bedroht. Täuscht das?

Krull: Immer dann, wenn der wirtschaftliche Nutzen von Forschung in den Vordergrund gestellt wird, um noch einmal auf Herrn Leitl zurückkommen, ist das schlecht für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Für die gibt es bei den öffentlichen Förderinstitutionen ohnehin schon weitaus weniger Mittel als für die naturwissenschaftlich-technischen und die medizinischen Bereiche. Es gibt in manchen Ländern nicht einmal Förderungsinstitutionen dafür.

STANDARD: Braucht man die Geistes- und Sozialwissenschaften gar so dringend?

Krull: Wenn man große gesellschaftliche Herausforderungen wie beispielsweise den Klimawandel oder Krankheitsepidemien bewältigen will, dann wird man ohne Sozial- und Geisteswissenschafter nicht auskommen. Das wissen mittlerweile auch viele Naturwissenschafter. Wir brauchen das Potenzial der Geistes- und Sozialwissenschaften im Sinne einer klaren Analyse der Vergangenheit zur Ortsbestimmung in der Gegenwart, damit wir auf verantwortliche Weise die Zukunft gestalten können.

STANDARD: In der von Ihnen geleiteten VolkswagensStiftung haben diese Bereiche konsequenterweise eine Priorität.

Krull: Richtig. Wir fördern immerhin die Geistes- und Sozialwissenschaften mit immerhin 40 Prozent unseres Gesamtbudgets, während dieser Anteil etwa bei der DFG und vergleichbaren Organisationen bei 15 bis 16 Prozent liegt. In letzter Zeit wurden allerdings auch auf Bundesebene mehrere Initiativen gestartet, um die Geisteswissenschaften zu unterstützen und sie - insbesondere mit Blick auf die Globalisierungsprozesse - in die öffentliche Debatte zurückzubringen. Daneben bieten aber auch noch viele andere private Stiftungen den Kultur- und Sozialwissenschaften vielfältige, wenn auch oft nur kleinteilige Möglichkeiten, Dinge zu leisten, die sonst verloren gingen.

STANDARD: Das mag in Deutschland so sein, in Österreich hält sich das in Grenzen. Wie könnte man das Stifterwesen ausbauen?

Krull: Die Randbedingungen für Stiftungen in Deutschland und in Österreich sind sehr unterschiedlich, das ist richtig. Wenn man eines aus den internationalen Entwicklungen lernen kann, um mehr privates Kapital für gemeinnützige Zwecke zu aktivieren, dann sind das entsprechende Reformen im Stiftungsrecht. Wir haben das in Deutschland bei den beiden letzten Reformen gesehen, nach denen es gleich mehrfach zu über 1000 Neugründungen pro Jahr kam. Wichtig ist dabei, dass dieses bürgerschaftliche Engagement aber auch durch ein Klima der Anerkennung und eine stärkere öffentliche Würdigung des Mäzenatentums begleitet wird. Dann ist sehr viel für die Wissenschaft möglich. In Deutschland kam es auf diese Weise zuletzt zu mehreren gemeinnützigen Stiftungsgründungen im wissenschaftlichen Förderfeld mit Vermögen von jeweils deutlich über 100 Millionen Euro. (DER STANDARD, Printausgabe, 03.03.2010)