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Frauen und Mädchen geraten im bewaffneten Konflikt in Kolumbien zwischen die Fronten und werden oft Opfer von Gewalt

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Marly Mier Rinaldy kritisiert die Regierung und die Art des Regierens: "Es gibt keinen Frieden in Kolumbien"

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In Kolumbien herrscht seit mehr als 40 Jahren ein bewaffneter Konflikt. Kriegsparteien sind Polizei und Militär, die rechtsgerichteten Paramilitärs und die linksgerichteten Guerillagruppen. Seit 1964 sind nach Schätzungen 200.000 Menschen ums Leben gekommen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist keine "Begleiterscheinung", sondern wird gezielt als Kriegsmittel eingesetzt, kritisieren Fraueneinrichtungen. Auch die nordkolumbianische Stadt Barrancabermeja wird sozial und politisch von Paramilitärs kontrolliert. Die "Organización Femenina Popular" (OFP) hat dort fünf Frauenzentren eingerichtet. "Viele Frauen haben Angst und schweigen noch", berichtete OFP-Mitarbeiterin Marly Mier Rinaldy bei einem Wienbesuch vergangene Woche.

Egal ob Paramilitär oder Guerilla: Vergewaltigungen gehören zur Strategie, um die Menschen einzuschüchtern. Amnesty International (AI) berichtet, dass von sexuellen Übergriffen insbesondere Afro-Kolumbianerinnen, indigene Frauen, Binnenflüchtlinge und Bewohnerinnen ländlicher und ärmerer Gegenden betroffen sind. Die Schande einer Vergewaltigung gilt in der vom "machismo" geprägten kolumbianischen Gesellschaft nur für die missbrauchte Frau, nicht für den Täter. Wer sich dennoch an die staatlichen Behörden wendet, muss mit Erniedrigungen und Anschuldigungen, wie "Kollaboration mit der Guerilla", rechnen.

Gewalt in ländlichen Regionen

Wird man einer Seite im Konflikt zugeordnet, kann das gefährlich werden. Frauenrechtsaktivistin Rinaldy erzählt vom Schicksal der 64-jährigen Iluminada, die mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern in einer ländlichen Gegend lebte. Eines Tages kamen bewaffnete Männer der Paramilitärs, die ihren Mann geschlagen und mitgenommen haben. Sie beschuldigten ihn, Anhänger der Guerilla zu sein. Am nächsten Tag fand Iluminada die Leiche ihres Mannes vier Kilometer vom Dorf entfernt. Sie zog nach Barrancabermeja, in der Stadt mit 190.000 EinwohnerInnen leben viele Vertriebene. Dort wurde einer ihrer Söhne ermordet, weil er angeblich mit der Guerilla unter einer Decke steckte. Ein weiterer Sohn wurde getötet, da ihm vorgeworfen wurde, bei den Paramilitärs mitzuarbeiten.

Seit einigen Jahren ist Iluminada eine Führungskraft bei der OFP und arbeitet vor allem in der Ausspeisungsstelle, wo sich Familien oft die einzig sichere Mahlzeit pro Tag holen können. Iluminadas Geschichte ist kein Einzelschicksal, berichtet Rinaldy: "In ländlichen Regionen ziehen immer wieder Bewaffnete durch, die von den Bauern Wasser und Lebensmittel verlangen, oder sie sich einfach nehmen. Dadurch kann es passieren, dass sie im bewaffneten Konflikt unfreiwillig einer Seite zugeordnet werden."

OFP: Gewaltfreier Widerstand

Die OFP leistet in Kolumbien gewaltfreien Widerstand gegen Frauenrechtsverletzungen. Die Organisation wurde 1972 gegründet und setzt sich seither für eine Verbesserung der Situation der Frauen in Kolumbien ein. Die Frauen, die in die OFP-Zentren kommen, können von mindestens einem Opfer in der eigenen Familie erzählen, von Gewalt, Vergewaltigung, Bedrohung, Denunzierung oder verschwundenen Angehörigen. Die MitarbeiterInnen bieten Bildung, rechtliche Beratung, Gesundheitsvorsorge und die Begleitung in einkommenschaffende Projekte an und engagieren sich für die Durchsetzung von Menschenrechten.

Bedrohung der OFP-Mitarbeiterinnen

Die OFP-Mitarbeiterinnen werden selbst oft Opfer von Gewalt und Einschüchterungen. Es komme regelmäßig zu physischer, sexueller und politischer Gewalt, berichtet Rinaldy. Ein weiteres Mittel ist Psychoterror durch Denunziation oder bewusste Fehlinformation. Anfang 2009 wurden zum Beispiel Flugzettel gegen Drogensüchtige, SexarbeiterInnen und MenschenrechtsaktivistInnen verteilt. Daneben werden regelmäßig Gerüchte gestreut, dass die OFP ihre Arbeit einstellt oder MitarbeiterInnen ermordet oder entführt wurden. Das führt zu einer Demoralisierung und Verunsicherung der Basis. "2009 war diesbezüglich ein besonders schwieriges Jahr", berichtet Roswitha Just, Projektreferentin der katholischen Frauenbewegung für Kolumbien.

Eine junge Studentin, die sich vor allem für kulturelle Projekte und Jugendarbeit einsetzte, wurde von Paramilitärs in ein Auto gezerrt, sagte Rinaldy. Sie wurde geschlagen, ihr wurden Arme und Beine zusammengebunden, die Haare geschnitten und die Beine mit kochendem Wasser übergossen. Zu diesem Zeitpunkt war sie im zweiten Monat schwanger. Aufgrund von massiven Protesten wurde sie schließlich - in sehr schlechtem Zustand - freigelassen. Hier setzt Rinaldy an: "Internationales Interesse, Proteste und Solidaritätsbekundungen sind eine Art Schutzschild für uns." Zuletzt konnte die Organisation durch die Aktion "Eine Million Freundinnen und Freunde der OFP" für internationale Aufmerksamkeit sorgen. Gruppen in Österreich, Spanien, Kanada und Holland sammelten sogar mehr als 2,3 Millionen Unterschriften.

Finanzierung durch Entführungen

Seit den sogenannten Friedensverhandlungen zwischen den Paramilitärs und der Regierung sitzen ehemalige Paramilitärs auch in offiziellen Posten bei Behörden. Das erschwert es oder macht es sogar unmöglich, Vergewaltigungen, Entführungen und Morde anzuzeigen. Eine dramatische Folge dieses "Scheinfriedens" ist der Abzug von Organisationen wie dem Roten Kreuz oder des UN-Flüchtlingshochkommissariats aus der Region. Die Begründung: Seit den Friedensverhandlungen gebe es keine Massaker und Übergriffe mehr.

Rinaldy zeichnet ein anderes Bild der Situation: "Es gibt keinen Frieden in Kolumbien. Bei dem sogenannten Friedensprozess gab es keine Wahrheitsfindung oder Gerechtigkeit. Es ging nicht um Wiedergutmachung, enteignete Bauern bekamen zum Beispiel ihre Grundstücke nicht zurück." Zur Finanzierung des Konflikts werden weiterhin bis zu 3.000 Menschen pro Jahr, zumeist Frauen, entführt, um sie gegen Lösegeld zur Aufbesserung der Kriegskasse freizupressen. Falls das Geld nicht aufgebracht werden kann, werden die Entführungsopfer oft getötet. Bekanntes Beispiel ist die Entführung der kolumbianischen Politikerin Íngrid Betancourt, die sechs Jahre lang in der Gewalt der Guerillabewegung FARC war.

Frauen im Krieg

Nicht nur in der Zivilbevölkerung kommt es zu (sexueller) Gewalt gegen Frauen. In den bewaffneten Guerillagruppen liegt der Frauenanteil bei etwa 40 Prozent, berichtet Amnesty International. Teilweise seien sie freiwillig beigetreten, doch es komme auch zu gewaltsamen Rekrutierungen. Bei vielen Mädchen geschehe dies bereits im Kindesalter. Häufig werden Kämpferinnen von ihrem Kommandanten sexuell missbraucht, sagt AI. Abtreibung würden dann meist unter katastrophalen hygienischen und medizinischen Bedingungen durch Angehörige der Oppositionsgruppen vorgenommen, welche selten eine ärztliche Ausbildung genossen haben.

Zukunft

Was muss sich in Kolumbien ändern? Rinaldy hat klare Antworten: "Es muss nicht nur die Regierung, sondern auch die Art des Regierens abgelöst werden. Es muss mehr für das Wohl des Volkes und weniger für ein paar reiche Familien getan werden. Es müssen mehr Arbeit und bessere Lebensbedingungen geschaffen werden." Außerdem solle die Regierung nicht in Waffen investieren, sagt die Aktivistin: "Denn Krieg ist für uns nicht der Weg zum Frieden." (Julia Schilly, dieStandard.at, 9. März 2010)