Im neuen offenen Bereich des Polizeianhaltezentrums am Hernalser Gürtel in Wien können Insassen nun zumindest selbst entscheiden, ob und wann sie die Zeit mit Tischtennis totschlagen.

Foto: Standard/Heribert Corn

In den Zellen im Erdgeschoß werden die Türen nicht mehr zugesperrt.

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Wien - Es ist nicht zu übersehen, dass der Gebäudekomplex Hernalser Gürtel 8-12 in Wien seinerzeit als Strafgefängnis gebaut wurde. Heute ist es das größte Polizeianhaltezentrum (PAZ) für Schubhäftlinge in Österreich. Rund 200 Personen sind derzeit untergebracht, ein Fünftel davon seit kurzem in einem offenen Bereich im Erdgeschoß, wo die Zellentüren nie zugesperrt werden. Umbau und gelockerter Vollzug sind eine Folge heftiger Kritik vom Menschenrechtsbeirat, der in den vergangenen Jahren die Zustände in der Schubhaft immer wieder als untragbar angeprangert hatte.

Im offenen Bereich, der freilich eine vergitterte Grenze zur Außenwelt hat, gibt es außer den Mahlzeiten keinen vorgegebenen Tagesablauf. Die Schubhäftlinge, die im Durchschnitt ein Monat hier verbringen, können zumindest selbst entscheiden, ob und wann sie eine Hofrunde drehen, die Nachbarzelle besuchen oder eine Runde Pingpong spielen. Die meisten sitzen dennoch in ihren Acht-Mann-Zellen vor dem Fernseher. Zu warten und nichts Sinnvolles zu tun zu haben entlarven die vermeintlich entspannte Atmosphäre als trist.

Mohammed S. bleiben nur mehr wenige Stunden bis zu seiner Abschiebung nach Ungarn. Er kommt aus Afghanistan, ist keine zwanzig Jahre alt, floh vor den Taliban. Beweisen kann er das allerdings nicht, weil er keine Papiere hat. Sein Asylantrag in Österreich ist sinnlos, weil laut Gesetz der Staat zuständig ist, wo er erstmals EU-Land betreten hat. Also retour nach Ungarn. Und dann? "Keine Ahnung" , sagt er leise. Kumar S. wiederum weiß gar nicht, warum er in Schubhaft sitzt. Seit zwei Wochen wartet der Mann aus Indien, der seit Jahren in Österreich lebt, auf die behördliche Begründung für seine missliche Lage. Ein Rechtsberater sei hier noch nie vorbeigekommen, es gebe lediglich Betreuer, die die Leute zur freiwilligen Heimkehr bewegen wollten.

Josef Zinsberger, Leiter der Abteilung für fremdenpolizeiliche Maßnahmen und Anhaltevollzug in Wien, ist jedenfalls zufrieden mit dem videoüberwachten, offenen Schubhaftbereich. Sowohl Insassen als auch Personal würden vom gelockerten Vollzug profitieren. Auch die Frauenabteilung im anderen PAZ an der Rossauer Lände werde bereits offen geführt. Die erste Schubhaftanstalt Österreichs, die die Zellentüren offen ließ, war die in Linz. Auch hier zeigt sich die Polizei zufrieden.

"Voraussetzungen für die Aufnahme in den offenen Bereich sind Freiwilligkeit und Kooperation" , erklärt Peter Goldgruber, Chef der sicherheits- und verkehrspolizeilichen Abteilung. Wer nach einem kriminellen Delikt hier zur Abschiebung lande, müsse im versperrten Trakt bleiben. Aber das sind ohnehin die wenigsten. In der Regel handelt es sich um Personen, die illegal eingereist sind und damit lediglich eine Verwaltungsübertretung wie Falschparken begangen haben. (Michael Simoner, DER STANDARD - Printausgabe, 5. März 2010)