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Apa/dpa/Jan Nienheysen

Zwanzig Minuten stehen wir jetzt schon angeschirrt auf der schrägen Bergwiese. Hinter uns, sorgfältig ausgebreitet, der riesige, gelb-rote Schirm aus dünnem Kunststoff, mit dem wir durch ein Netz aus feinen Schnüren verbunden sind. Gerade vorhin noch, beim Weg herüber von der Bergstation des Sessellifts, die Packsäcke mit dem Gleitschirm, den Sitzgurten und den Helmen auf dem Rücken, zeigten die vielen Fähnchen einen stetigen leichten Wind an, aber jetzt hängen sie schlaff herunter - Flaute.

Links und rechts von uns starten die Flieger trotzdem. Steht der Schirm nämlich einmal in der Luft, so trägt er auch bei ganz wenig Wind. Aber der Jodok, Gleitschirmfluglehrer, Tandempilot und Leiter der Flugschule Bregenzerwald ist vorsichtig, er will absolut nichts riskieren. Immerhin muss unser Schirm, größer als die anderen, zwei Personen tragen: den Piloten, der hinten sitzt und mit den Händen die Steuerseile bedient, und vor ihm den Flugneuling, der gerade überlegt, ob die Anmeldung zu diesem Tandemflug wirklich eine gute Idee war.

Laufen, laufen, laufen

Das Herz klopft und der Adrenalinspiegel steigt, und der Jodok wiederholt zum x-ten Mal seine Anweisungen: "Laufen, laufen, laufen." Der Neuling ist zu aufgeregt, um zu antworten, er nickt nur ganz schwach unter dem Helm, und dann beginnen die Windfähnchen, sich leicht zu bewegen, und der Jodok ruft: "Los!"

Die ersten Schritte gehen noch leicht, aber dann bauscht sich der bunte Drachen und zieht schwer an den Gurten. Jetzt nur fest gegen den Widerstand des Schirms treten, der sich langsam aufrichtet und über den Abhang hinausgleitet. Das ist ein unbeschreiblicher Augenblick, man hat Flügel bekommen und schwebt wie ein Vogel im Wind.

"Super Start"

"Super Start", klopft der Jodok dem Neuling auf die Schulter. In einer eleganten Linksdrehung erreicht der Paragleiter eine Aufwindzone und dreht sich höher und höher. Tief unten liegen die Wiesen und Dörfer des Bregenzerwaldes und dahinter Wälder und Almen und weit weg die Gletscher der Silvretta.

Begünstigt einerseits durch gutmütige Thermikverhältnisse und gleichmäßige Hangaufwinde des zum Bodensee hin offenen Tales und andererseits durch die bequeme Erreichbarkeit der Startplätze mit Sesselliften oder Gondelbahnen sind die Orte Andelsbuch, Bezau und Schoppernau zum Dorado einer internationalen Paragleiterszene geworden. Das ganze Jahr hindurch starten an schönen Wochenenden Dutzende von Gleitschirmfliegern vom Sonderdach, von der Niedere oder dem Diedamskopf, tanzende bunte Flocken hoch über den Skifahrern oder Mountainbikern.

Unser Tandemgleiter schwebt jetzt mit etwa vierzig Stundenkilometern Geschwindigkeit durch die Luft. "Probier du einmal zu steuern", ruft der Pilot und reicht seinem Gast die Leinen. Ein vorsichtiger Zug mit der rechten Hand nach unten, und der Vogel reagiert präzise mit einer eleganten Drehung. Das Gleiche links, und er neigt sich in die andere Richtung.

Ein Steuerfehler ist nur schwer möglich

Die Hülle des Schirms besteht nämlich in Wirklichkeit aus lauter Wülsten, die sich beim Flug wie Ballone mit Luft füllen und ein Zusammenknicken des Gliders verhindern. In wenigen Tagen, verspricht der Jodok, kann ein Anfänger nach Start-, Lande-und Steuerübungen, die am Übungshang praktiziert werden, seinen ersten Höhenflug wagen - in Funkverbindung mit dem Fluglehrer, der ihn dirigiert. Es gibt Schnupperkurse und Wochenendlehrgänge, das Fluggerät kann geliehen werden und entspricht den neuesten Sicherheitsstandards.

Wir sind jetzt ungefähr zwanzig Minuten geflogen, und vor der Landung nimmt der Pilot die Steuerleinen wieder selbst in die Hand. Die Wiese neben der Talstation des Lifts in Andelsbuch ist flach, und obwohl das Aufstehen aus dem Sitz dem Anfänger etwas zu spät gelingt, hat der Jodok alles im Griff. Ein paar Laufschritte, dann stehen wir, und der Schirm sinkt langsam vor uns zusammen.

Beim Falten der Stoffbahnen und Zusammenlegen der Schnüre, die sorgfältig für den nächsten Start verpackt werden müssen, wird einem bewusst, wie zart und leicht dieses Gerät ist. Keine Maschine, kein Apparat, nur dünne Kunststofffasern. Fast körperlos triumphieren sie über die Schwerkraft und setzen in uns Glückshormone frei, die stundenlang nachwirken. Suchtgefahr? Natürlich stellt sich nach dem Tandemflug der Wunsch nach der Steigerung ein - dem Alleinfliegen. Wer Mut und Besonnenheit, Zeit und Geld hat, der findet dabei die möglicherweise schönste Freizeitbeschäftigung überhaupt. Für uns andere gibt es glücklicherweise den Tandemflug.(Der Standard/rondo/11/04/2003)

Tipps:
Anfahrt: Mit der Bahn: Westbahn nach Bregenz. Weiterfahrt mit Linienbus bis Andelsbuch. Mit dem Auto: Von Dornbirn über das Bödele und Schwarzenberg nach Andelsbuch. Angebot: Tandemflug mit Pilot, inklusive Ausrüstung Euro 100. Info und Buchung: Flugschule Bregenzerwald, Inhaber und Leiter Jodok Moosbrugger, 6870 Bezau, Wilbinger 483. Tel. 05514 / 31 77 oder 0664 / 308 42 76 bezau@gleitschirm.com
Das Tourismusbüro Andelsbuch informiert über Unterkünfte: Tel. 05512 / 25 65; andelsbuch@magnet.at