Getauschte Kamerablicke, ungewöhnliche Perspektiven auf vergangene Zeiten. In "Kinderfilm" von 1985 gelingt Peter Schreiner ein schöner Film über das Erwachsenwerden.

Foto: Diagonale

Filmemacher Peter Schreiner - ein seismografischer Beobachter, der sich um Themen nicht schert.

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Die Diagonale ehrt ihn mit einer Personale.

Der Peter ist dabei, ein wahres Kunstwerk zu schaffen." Was Niki List in Peter Schreiners Debütfilm Grelles Licht (1982) ironisch prophezeit, wird sich am Ende des Films bestätigen – nicht in Bezug auf das eigentlich gemeinte "richtige" Kunstwerk, sondern tatsächlich hinsichtlich der Wahrheit, die in diesem Film steckt und die man erst spät erkennen kann.

Grelles Licht, entstanden im Familien- und Freundeskreis des Regisseurs, ist aus heutiger Sicht eine erste Suche, die bereits auf die vielen weiteren verweist, die Peter Schreiner in den nächsten zwanzig Jahren unternehmen wird. Einzelne Kapitel, die die Namen der Eltern, Verwandten oder Freunde im Titel führen, gliedern den Film, der sich in SchwarzWeiß bewusst reduziert gibt – nicht als Stilisierung, sondern als "Abbild der Wirklichkeit" , wie Schreiner meint, der in der Folge fast ausschließlich in SchwarzWeiß drehen wird: "Die SchwarzWeiß-Fotografie lässt dem Empfinden des Betrachters und seiner Fantasie einen größeren Freiraum."

Sprechen ist kein Zwang

Schreiner, in Grelles Licht immer wieder auch selbst im Bild, zieht sich nicht auf die Position des scheinbar unbeachteten Beobachters zurück, sondern spielt mit seiner Präsenz als Filmemacher. Manchmal wird er gefragt, ob die Kamera denn schon aufnehme. "Wenn ich nichts zu reden hab, bin ich nicht aufgeregt" , meint sein Vater umgekehrt auf die Frage, ob er vor der Kamera nervös sei. Niemand muss in den Filmen Peter Schreiners reden, denn das Sprechen ist hier nur ein Teil der Wahrheit.

Peter Schreiner ist einer der erstaunlichsten österreichischen Filmemacher, und gerade deshalb – gemessen an der Kraft und Kreativität seiner Filme – nach wie vor einer der am wenigsten bekannten. Erst sein voriger Film, Bellavista (2006), der auf der Diagonale 2007 den Dokumentarfilmpreis gewonnen hat, fand einen regulären Kinoverleih, seine jüngste Arbeit, Totó (2008), wurde vergangenen Herbst bei den Filmfestspielen von Venedig gezeigt.

Schreiners Arbeiten, die weit über die konventionellen Grenzen des Dokumentarischen reichen, sind schwer einzuordnen; am anhaltenden Erfolg österreichischer Dokumentationen über Globalisierung, Nahrungsmittelproduktion und Plastik nehmen sie keinen Anteil.

Wenngleich der Begriff der Spurensuche meist schnell zur Hand ist, für die Arbeiten Schreiners findet er ausnahmsweise seine Berechtigung, weil die "Spuren" deutlich in den Filmen selbst zu finden sind: In Kinderfilm (1985) hört man immer wieder einzelne Klaviertöne, sieht Aufnahmen eines Flusses, Weizenfelder im Wind. Zugleich ist Kinderfilm ein wunderbarer Film über das Erwachsenwerden, verdeutlicht durch sprunghafte Schnitte und Schauplatzwechsel. "Warum ist dir fad?" , fragt Schreiner einen Jungen im Liegestuhl. "So halt."

Spaß als Indianer

Dann filmt Schreiner das eigene Klassentreffen und was aus der Jugend geworden ist: Einer Frau, die zum Spaß als Indianer verkleidet am Feuer sitzt, fällt auf, dass sie sich bereits als indianisches Kind als Erwachsene gefühlt hat. "Ich wollte in meiner Art als Indianer alt werden" , meint sie – und lacht. Wie ein Seismograf zeichnet Schreiner diese Erschütterungen auf, die das Altern – und eben nicht das Alter – in Form von Spuren hinterlässt. "Am Ende gibt es so viele Möglichkeiten, auf die Spur zu kommen, wie Betrachter im Kino sitzen" , schrieb Schreiner bereits Ende der 80er-Jahre, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Um Spuren geht es auch in den Filmen I Cimbri (1991) und – nach einer zehnjährigen Schaffenspause – in Bellavista, in denen sich Schreiner nach Oberitalien begibt, um das Verschwinden von Volksgruppen und Dialekten zu begleiten. Einmal sind es die Zimbern im abgelegenen Illasi-Tal, in Bellavista der plodarische Dialekt in einem Bergdorf in den Karnischen Alpen. I Cimbri markiert die Loslösung Schreiners vom unmittelbaren eigenen Umfeld und eine Hinwendung zu etwas, was man gemeinhin "Thema" nennen könnte.

Doch das Ergebnis sind keine ethnografischen Porträtfilme, sondern ein scheinbar intuitives Zusammentragen von Zeit-Bildern. Landschaft, Dorf und Menschen zerfallen in ihre Einzelteile, Schreiner filmt Ausschnitte von Gesichtern, Türrahmen, Händen und Tischecken ohne Priorität für den Menschen, wie auch die Zeit keinen Unterschied macht.

In Totó, den die Diagonale dieses Jahr in ihrem Hauptprogramm präsentiert, begleitet Peter Schreiner den in Wien lebenden Antonio Cotroneo in seine kalabrische Heimat. Und wie alle anderen Zeitreisenden muss auch er bei seiner Rückkehr feststellen, dass die Vergangenheit eine andere geworden ist – weil man selbst jemand anderer wurde. (Michael Pekler, SPEZIAL – DER STANDARD/Printausgabe, 16./17.03.2010)