Ein Perspektivenwechsel ist angesagt, wenn Fahrschullehrer in der Straßenbahn zu Fahrschülern werden.

Foto: derStandard.at/Gedlicka

Vor der Abfahrt werden die verschiedenen Signale durchgenommen.

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Wien - Die Straßenbahn fährt in die Station vor der Wiener Staatsoper ein. Eine Touristin blickt in Richtung des sich annähernden Zugs und setzt dennoch an, direkt vor der Garnitur die Ringstraße zu überqueren. Mit einer Bremsung geht sich alles aus. Im Fahrersitz hat sich gerade Marion Philippi, unterstützt von Herbert Weber, einem Fahrlehrer der Wiener Linien, bewährt. Philippi ist selbst auch angehende Fahrlehrerin, allerdings nicht für Straßenbahnen, sondern für Kraftfahrzeuge. "Es ist ganz schön schwer, so viele Tonnen zum Stillstand zu bringen", zollt sie den Kollegen, die auf dem Schienennetz unterwegs sind, Respekt.

Hindernis Straßenbahn

Wie drei weitere Fahrschullehrerkollegen nimmt Philippi an einer Verkehrssicherheitsaktion von Wiener Linien und Wirtschaftskammer teil, in deren Rahmen die hauptberuflichen Autolenker eine Straßenbahn einmal selbst lenken können. "Als langjährige Auto- und Radfahrerin erlebe ich die Straßenbahn oft als Hindernis, so sieht man einmal die Schwierigkeiten der anderen Seite." Die beginnen bei der Länge. Rund 20 Meter misst die E1-Garnitur mit der die Fahrlehrer einen Vormittag in der Stadt unterwegs sind. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h für das Befahren von Weichen kann es leicht vorkommen, dass Autofahrer etwas warten müssen.

Frauen sind im Führerstand von Straßenbahnen nicht mehr ganz so selten zu sehen wie früher. Auf rund 20 Prozent schätzt Thomas Linsmeier, seines Zeichens Chef-Instruktur bei den Wiener Linien und seit 19 Jahren als Ausbildner tätig, den Frauenanteil. Nicht geändert hat sich der konstante Bedarf an Straßenbahnlenkern. 44 Tage dauert die Schulung, rund 180 Bewerber werden pro Jahr ausgebildet. Der Alterschnitt der Anwärter liegt laut Linsmeier um die 25 Jahre, wobei man gerade mit über 35-Jährigen gute Erfahrungen gemacht habe: "Die gehen oft ernsthafter an die Sache ran und bleiben uns."

Früh aufstehen

Fast die Hälfte der frisch gebackenen Straßenbahnfahrer hängt in den ersten drei Berufsjahren den Job wieder an den Nagel. Eine Hürde für viele ist die erforderliche Flexibilität, was die Dienstzeiten betrifft. Gefahren wird schließlich an allen sieben Wochentagen, der früheste Dienst beginnt um 4.10 Uhr. Mit den neuen Ulf-Garnituren wurde immerhin auch ein langjähriger Wunsch der Straßenbahnfahrer erfüllt: eine geschlossene Fahrerkabine, mit der man beim Öffnen den Türen nicht mehr permanent Wind und Wetter ausgesetzt ist.

Alle Teilnehmer der Schnupperfahrt haben sich indessen als Bim-Lenker bewährt. "Straßenbahnen sind mitunter eine gefährliche Sache für Fahrschüler", hatte einer der Autofahrlehrer vor seiner Fahrt erklärt. Dass rasante Fahrmanöver mit dem Auto umgekehrt Straßenbahnlenker und ihre Fahrgäste schnell in Bedrängnis bringen können, dürfte spätestens nach einigen mehr oder weniger sanften Bremsungen klar geworden sein. (glicka, derStandard.at, 17. März 2010)