"UN-Top Cop" Orler.

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Orler ist verheiratet, hat zwei Kinder, mag Blumen und Reiten und singt gerne.

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Die Schwedin Anne-Marie Orler blickt auf mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Polizei zurück und steht seit Mitte März rund 12.500 UN-Polizisten (UNPOL, United Nations Police) aus 90 Ländern vor. Derzeit sind diese in 17 Missionen der Vereinten Nationen weltweit im Einsatz. Die Polizisten beraten und trainieren dabei die örtliche Polizei, erläutern Strafrechts- und Menschenrechtsverfahren und sollen dabei helfen, ein rechtsstaatliches System wiederherzustellen. In manchen Fällen, wie etwa bei der Mission in Haiti oder in Ost-Timor, dürfen sie auch eingreifen – ihre Kompetenzen werden stets per UN-Mandat festgelegt. Im Gespräch mit derStandard.at spricht der "UN-Top Cop" über Frauen bei der Polizei und die "schwierigste unter den schwierigen UN-Missionen".

derStandard.at: Sie sind die erste Frau, die je den Chefposten in der UNPOL eingenommen hat. Die Polizei ist eine Männerdomäne, wie haben Ihre Kollegen auf Ihre Bestellung reagiert?

Anne-Marie Orler: Eigentlich gab es keine negativen Reaktionen. Ich glaube, dass mittlerweile erkannt worden ist, dass die Polizei aus Männern wie auch aus Frauen besteht, dass beide gebraucht werden und man ist sich auch weitgehend einig darin, dass es mehr Frauen bei den friedenserhaltenden Einsätzen geben sollte.

derStandard.at: Was unterscheidet die Arbeit eines Polizisten von der einer Polizistin?

Anne-Marie Orler: Oft wird Gewalt gegen Frauen oder Kinder als Mittel der Kriegsführung verwendet und die Täter sind dabei meist Männer, oftmals auch in Uniform. Eine Frau, die vergewaltigt worden ist, wird eher mit einer uniformierten Frau sprechen als mit einem uniformierten Mann, weil sie dem männlichen Polizisten nicht mehr trauen wird. Männer und Frauen machen grundsätzlich dieselben Jobs und das auch gleich gut, aber in diesem Zusammenhang fällt es Frauen einfacher, Zugang zu den Opfern zu finden. Man erfährt mehr über die Verbrechen, weil mehr Frauen sich trauen, sie zu melden.

derStandard: Sie stehen fortan rund 13.000 UNO-Polizisten aus 90 Ländern vor, die in 15 UN-Friedensmissionen weltweit im Einsatz sind. Sechs Prozent davon sind weiblich. Sie haben bei Ihrer Ernennung von der Wichtigkeit von Chancengleichheit im Polizeibereich gesprochen. Sechs Prozent klingt nicht gerade nach viel.

Anne-Marie Orler: Ja, das ist sehr wenig. Deswegen ist der Anstieg des Frauenanteils auch eine große Herausforderung für mich. Bis 2014 wollen wir einen Frauenanteil von mindestens 20 Prozent erreichen. Vergangene Woche erst wurde mir mitgeteilt, dass wir 71 Soldatinnen aus Namibia nach Darfur schicken. Das ist ein sehr guter Beitrag.

derStandard: Wie wollen Sie einen Anstieg weiblicher Offiziere erreichen?

Anne-Marie Orler: Wir schauen uns den Ablauf der Rekrutierungen einzelner Länder wie auch bei den Vereinten Nationen an und kontrollieren, ob irgendetwas Frauen daran hindert, der Armee beizutreten. Außerdem versuchen wir, flexibler zu sein, um Frauen mehr Möglichkeiten für einen Eintritt in die Armee zu geben. Wir stellen Netzwerke zur Verfügung, damit Frauen Informationen austauschen oder sich gegenseitig Ratschläge geben können. Wir tun unser Bestes, um die Rekrutierungsmaßnahmen und das Training der Polizei zu verbessern. Zum Beispiel versuchen wir, bessere Voraussetzungen für Frauen mit Familien zu schaffen, beispielsweise mittels der Möglichkeit, sich einen Einsatz mit einer zweiten Frau zu teilen. Ingesamt versuchen wir unser Bestes, um es Frauen so leicht wie möglich zu machen, Polizistin zu werden.

derStandard.at: Vor Ihrem jetzigen Job waren Sie Generalsekretärin der schwedischen Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und haben sich in den Ausschüssen des Europarats mit Menschenrechten und Folter auseinandergesetzt. Haben Sie Anliegen mitgenommen?

Anne-Marie Orler: Im Europarat habe ich mich dafür eingesetzt, dass das Vokabular, das wir verwenden, überdacht wird. Das mag naiv klingen, ergibt aber durchaus Sinn. Man sollte nicht von "Polizeikräften" sprechen, sondern von "Polizeidienstleistern". Das macht durchaus einen Unterschied in den Köpfen der Menschen. Es ist zwar nur ein symbolischer Schritt, aber in der Realität steht nun mal der Dienst im Vordergrund. Das habe ich im Folter-Ausschuss geändert und das möchte ich jetzt wieder anregen.

derStandard.at: Das Image der UN-Polizisten und -Soldaten ist bei der lokalen Bevölkerung nicht immer das beste.

Anne-Marie Orler: Oft wurden Polizisten für die jeweils eigenen Interessen benützt, von der Regierung oder vonseiten der Rebellen, um die Bevölkerung zu unterdrücken. Man muss ihr Image ändern und der Bevölkerung klarmachen, dass die UN-Polizei für sie da ist und dafür, sie vor Verletzungen der Menschenrechte zu beschützen. Das ist schließlich die Hauptaufgabe der Polizei.

derStandard.at: Was ist derzeit die schwierigste UNPOL-Mission?

Anne-Marie Orler: Alle Missionen sind schwierig. Im Moment aber stellt Haiti die schwierigste Aufgabe unter allen, ohnehin schon schwierigen Aufgaben dar. Um die 40 Prozent der Polizeistationen sind verschwunden, die gesamte Infrastruktur ist zusammengebrochen. Die Sicherheitssituation ist dramatisch und erfordert viel harte Arbeit.

derStandard.at: Die Mission in Darfur ist mit 6.000 Polizisten die größte. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass es zu einem Friedensabkommen zwischen Rebellen und Regierung kommen wird.

Anne-Marie Orler: Die politische Situation im Sudan ist sehr schwierig.

derStandard.at: Ist die Mission gescheitert?

Anne-Marie Orler: Das würde ich nicht sagen, außerdem kann ich nur für die Seite der Polizei sprechen. Es gibt noch sehr viel zu tun, aber es hat ein paar kleine Schritte vorwärts gegeben. Wir haben es geschafft, dass die Bevölkerung uns wieder vertraut. Wir versuchen so gut wie es geht, in den Camps für Sicherheit zu sorgen und die Situation für die Bevölkerung zu verbessern.

derStandard.at: Zu einer anderen Mission: In der Demokratischen Republik Kongo möchte die Regierung den kompletten Abzug der UN-Mission bis 2011. Amnesty International hat davor gewarnt, dass ein Abzug desaströse Folgen für die Bevölkerung haben könnte. Wie lang wird die Mission bleiben?

Anne-Marie Orler: Wir versuchen derzeit, einen Mittelweg zu finden. Wir werden hoffentlich etwas Zeit haben, um die Übergabe vorzubereiten. Es wird natürlich Verhandlungen geben, aber es ist ein souveräner Staat. Wenn die Regierung uns dort nicht will, können wir nicht viel machen. Wir werden unser Bestes tun, um eine angemessene Übergabe zu garantieren.

derStandard.at: Wie lange sollten die Vereinten Nationaen Ihrer Meinung nach bleiben?

Anne-Marie Orler: Das kann ich schwer beurteilen, weil es von so vielen Dingen abhängt. Darüber spekuliere ich lieber nicht. (Anna Giulia Fink, derStandard.at, 23.3.2010)