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Lech Kaczyñski (re.) nach seiner Wahl zum Präsidenten Ende Oktober 2005 mit Zwillingsbruder Jaroslaw. Jetzt wird spekuliert, ob Jaroslaw quasi für seinen Bruder kandidieren wird.

Foto: APA/EPA/Gzell

Die politisch-gesellschaftliche Landschaft Polens wird sich dramatisch verändern.

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Der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine in Russland löste in Polen zwar Entsetzen und Trauer aus, aber kein Chaos. Premier Donald Tusk ließ seinen Tränen zwar im ersten Schock freien Lauf. Immerhin kannte er nicht nur den Präsidenten und seine Ehefrau Maria, sondern auch die meisten der Politiker und hohen Beamten in der Maschine. Mit etlichen war er befreundet. Doch dann ordnete er besonnen die nächsten Schritte an: Krisensitzung der Regierung in Warschau und Rückruf aller Minister aus dem Wochenende.

Da die gesamte Militärführung einschließlich des Generalstabschef Franciszek Gagor in der Katastrophenmaschine saß, musste die Sicherheit Polens überprüft werden. Die jeweiligen Stellvertreter der Generäle mussten informiert werden und sofort ihre neuen Posten einnehmen. Schon wenige Stunden nach dem tragischen Unfall erklärte Tusk vor laufenden Mikrofonen und Kameras: "Wir haben alles unter Kontrolle. Polen droht keine Gefahr. Das Land ist in Sicherheit."

Auch Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski, der laut Verfassung das zweithöchste Amt im Staat ausübt und nach dem Tod Kaczyñskis die Pflichten des Staatspräsidenten übernahm, beruhigte zunächst. Sichtlich bewegt verkündete er eine Woche Staatstrauer. In dieser Zeit sollten die Polen zusammenstehen und die Politiker ihren Parteienstreit ruhen lassen. Innerhalb von zwei Wochen muss er nun den Termin für vorgezogene Präsidentenwahlen verkünden. Sie müssen in den folgenden 60 Tagen, also bis Ende Juni stattfinden.

Zwei Präsidentschaftskandidaten saßen in der Unglücksmaschine, außerdem fast alle namhaften Politiker der national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Lech Kaczyñski, der amtierende Präsident, wollte im Herbst noch einmal für die PiS antreten. Ob die Oppositionspartei nun überhaupt einen Kandidaten aufstellen wird, ist noch nicht klar. Bei der Katastrophe ist fast die gesamte Politprominenz der PiS ums Leben gekommen. Wie es mit der Partei nun weitergehen soll, ist völlig offen. Es ist aber klar, dass sie sich schnell reorganisieren muss. Jaroslaw Kaczyñski, Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten und Parteivorsitzender der PiS, flog noch am Samstag nach Smolensk, um die Leichen zu identifizieren. Er wollte sich noch nicht öffentlich äußern, so kurz nach dem Unglück. Doch in Warschau geht bereits das Gerücht um, dass möglicherweise er selbst bei den Präsidentschaftswahlen antreten könnte. Stellvertretend für den Bruder gewissermaßen. Ob er Chancen hätte, ist eher zweifelhaft. Zwar dürfte ihm Mitgefühl sicher sein, doch Jaroslaw Kaczyñski hat sich in seiner Zeit als Premier Polens extrem unbeliebt gemacht. Dass er 2005 eine Koalition mit radikalen Parteien einging und damit Polens Ansehen beschädigte, verzeihen ihm viele Polen bis heute nicht. Auch seine nationalistisch vorgetragene EU-Skepsis kommt nur bei rund 20 Prozent der Wähler gut an.

Die besten Chancen werden Bronislaw Komorowski von der rechtsliberalen Regierungspartei Bürgerplattform (PO) eingeräumt. Der 57-Jährige ist in den letzten Jahren von rechtsaußen mehr und mehr in die Mitte und sogar leicht nach links gerückt.

Mit Jerzy Szmajdziñski starb auch der Präsidentschaftskandidat der Linken. Die Postkommunisten haben sich von der skandalträchtigen Regierungszeit Leszek Millers noch immer nicht erholt, sind aber weiter im Parlament vertreten. Allein aus Selbsterhaltungstrieb müssen sie nun einen neuen Kandidaten finden.

Da in den Trümmern der Tupolew nicht nur zahlreiche Abgeordnete der PiS ums Leben kamen, sondern auch zentrale Figuren der polnischen Rechten in wichtigen Positionen, wird sich Polens politisch-gesellschaftliche Landschaft dramatisch verändern. Zu den Anhängern der PiS gehörte beispielsweise auch Notenbankchef Slawomir Skrzypek, der wie die Kaczyñski-Brüder der Einführung des Euro in Polen skeptisch gegenüberstand. Die Regierung Tusk hingegen will den Euro schnell einführen. Ein neuer Chef an der Spitze der Nationalbank könnte hier eine Wende bringen. (Gabriele Lesser aus Warschau/DER STANDARD, Printausgabe, 12.4.2010)