Als amerikanische Soldaten im Irak in Kriegsgefangenschaft gerieten, sagte Präsident Bush, er erwarte sich eine humane Behandlung der Gefangenen. "Sollte dies nicht der Fall sein", so warnte der Präsident,"werden die Verantwortlichen als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen."

Damit hob Präsident Bush die Bedeutung der Genfer Konvention und der Frage hervor, wie und unter wessen Führung Kriegsverbrecherprozesse im Nachkriegsirak ablaufen sollten. Die Amerikaner planen auch Prozesse zu Verbrechen, die vor dem gegenwärtigen Konflikt begangen wurden. Vor kurzem veröffentlichten offizielle US-Stellen eine Liste mit Irakern, die man aufgrund solcher Verbrechen anklagen will.

Das amerikanische Militär nimmt die Genfer Konvention ernst. Die wichtigsten Bestimmungen daraus sind auch in den Kampfregeln für die amerikanischen Streitkräfte enthalten. Ähnliche Verhaltensregeln gibt es für die amerikanische Armee schon seit der Zeit des Bürgerkrieges. Im Jahr 1863 entwarf Francis Lieber, ein deutscher Immigrant und Rechtsprofessor an der Columbia University, einen 159 Artikel umfassenden Kodex.

Vergeltung befürchtet

Einer der Gründe, warum sich das amerikanische Militär der Genfer Konvention verpflichtet, ist die Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen. Gefangene des Feindes werden vor allem ordnungsgemäß behandelt, damit auch die amerikanischen Streitkräfte für ihre Angehörigen eine Behandlung im Einklang mit der Genfer Konvention fordern können.

Die Behandlung allerdings, die man den Gefangenen verschiedener Nationalitäten (Araber, Usbeken, Uiguren und Chinesen) am amerikanischen Stützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba angedeihen ließ, zeigt, dass Präsident Bush und seine Berater die Konvention nur anwenden, wenn es ihnen gerade passt. Keinem einzigen der Häftlinge in Guantánamo wurde der Status als Kriegsgefangener gewährt. Kein einziger bekam das Recht auf eine Anhörung, wie dies gemäß der Genfer Konvention in Zweifelsfällen eigentlich vorgesehen ist. Es scheint, als verwehrte man den Gefangenen jeden Rechtsschutz, sodass man ungestört mit den Zwangsverhören fortfahren kann. Das ist wirklich kein Beispiel für die humane Behandlung von gefangenen Kombattanten. Aber die Vorgänge in Guantánamo rechtfertigen keinesfalls die Misshandlung amerikanischer oder britischer Kriegsgefangener im Irak. Alle Regierungen sind unabhängig voneinander dazu verpflichtet, den Bestimmungen der Genfer Konvention Folge zu leisten.

Schlechte Erfahrungen

Aufgrund der Erfahrungen mit Saddam Husseins Truppen in der Vergangenheit war zu vermuten, dass sie zahlreiche Kriegsverbrechen begehen werden. Ich bin jahrelang dafür eingetreten, dass Saddam und seine Handlanger für ihre Verbrechen gegen die Kurden, Sumpf-Araber und viele andere vor Gericht gestellt werden. Daher pflichte ich auch der Regierung Bush bei, dass man die Prozesse nicht auf Verbrechen im gegenwärtigen Krieg beschränken sollte. Die An^geklagten sollten allerdings vor ein internationales und nicht vor ein amerikanisches Tribunal gestellt werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Deutsche und Japaner von den siegreichen Alliierten in Nürnberg und Tokio vor Gericht gestellt. Obwohl diese Prozesse in vielerlei Hinsicht großartig gestaltet waren - vor allem auch im Hinblick auf die Verfahrensrechte der Angeklagten -, so haftete ihnen dennoch der Geruch der "Siegerjustiz" an.

Beinahe ein halbes Jahrhundert später entschloss man sich 1993, mit der Einrichtung des Internationalen Tribunals für Exjugoslawien einen besseren Weg einzuschlagen. Der Vorwurf der Siegerjustiz kann hier nicht erhoben werden, da die Urteile im Namen der gesamten Welt gesprochen werden. Das Tribunal verurteilte Serben, Kroaten und Bosnier gleichermaßen und erhob erst kürzlich Anklage gegen mehrere Anführer der Kosovarischen Befreiungsarmee. Obwohl die höchstrangigen Angeklagten Slobodan Milosevi´c und Vojislav Seselj alles tun, um das Tribunal in Verruf zu bringen, wird ihnen das nicht gelingen. Der Vorwurf der Befangenheit ist einfach nicht haltbar.

Wenn nun die USA irakische Angeklagte vor eine amerikanische Militärkommission bringen wollen - wie dies führende Beamte des US-Verteidigungsministeriums vorgeschlagen haben -, wären die Fortschritte seit der Einführung des Tribunals für Exjugo 6. Spalte slawien zunichte gemacht. Ironischerweise wurde dieser amerikanische Vorschlag genau zu dem Zeitpunkt artikuliert, als der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit aufnahm. Ein noch größerer Hohn ist allerdings die Tatsache, dass sich die USA und der Irak unter jenen sieben Ländern befanden, die in Rom 1998 gegen die Einführung eines Internationalen Strafgerichtshofes gestimmt haben.

Wenn die Vereinigten Staaten weiterhin alles tun, um zivile Opfer zu vermeiden, haben sie von einem internationalen Tribunal nichts zu befürchten. Es ist kein Kriegsverbrechen, wenn fehlgeleitete Bomben oder Raketen einige Zivilisten töten. Da die USA aber durch die Missachtung der Genfer Konvention in Guantánamo schon die internationale Justiz verhöhnten, würde man die Situation noch verschlimmern, wenn man zu einem System zurückkehrte, in dem die militärischen Sieger ihre Uniform mit einer Richterrobe tauschen.

"Militärjustiz ist für die Justiz, was Militärmusik für die Musik ist", stichelte George Bernard Shaw einmal. Der Sarkasmus in seiner Bemerkung ist gerechtfertigt. "Siegerjustiz" ist nicht akzeptabel.

(DER STANDARD, Printausgabe, 12. und 13. 04. 2003)