Wenn ich nicht so ein Feigling wäre. Ich muss die BMW ja schon fast zurückhalten, damit die nicht von alleine innen durchsticht. Aber heute nehm ich das gelassen, dass ich mich am Pannoniaring wieder einmal einen langsameren Fahrer nicht innen überholen traue, weil ich Angst hab, dass er mich vom Radel führt, wenn er merkt, dass auch ausgerechnet ich ihn überhole. Der größte Nudler vorm Herrn.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Es kommt eh nicht oft vor, dass ich auf jemanden auflaufe, an dem ich auch vorbei könnte, aber wenn es dann doch passiert, dann hab ich eine panische Angst davor, dass er mir vor der Kurve das Türl zuhaut. Und während ich versuche, mich selbst zu fragen, ob sich das denn jetzt ausgehen könnte, stechen auch an mir noch ein bis zwei Fahrer innen durch. Also es ist klar, es geht sogar leicht.

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Aber heute ist mir das wurscht. Bummel ich halt hinten nach. Denn heute gehört er auf der Start-Ziel-Geraden mir, der Herr mit der lauten Tausender, der auf den Geraden das Gas aufreißt, dass man von hinten sieht, wie die Ventile versuchen, sich durch den Auspuff zu verdrücken. Aber da kann er heute auf der Geraden das Gas aufreißen, wie er will, weil ich bin nicht mit meiner 750er hier, die aus der Kurve raus nicht mitkommt und ich die Tausender erst wieder beim Anbremsen seh, wenn ich mich wieder nicht innen durch trau. Heute bin ich mit der BMW S 1000 RR hier, und gegen die ist kein Start-Ziel-Kraut gewachsen. Nach der letzten Kurve bleibe ich innen, dreh auf und zieh locker an ihm vorbei. Mit der Halbautomatik ziehe ich die Gänge rein, und ab der Ziellinie sehe ich vor mir niemanden mehr.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Mit 193 PS ist die BMW S 1000 RR die stärkste Supersport-Serien-Tausender derzeit, und mit dem Listenpreis von unter 18.000 Euro treibt sie der japanischen Konkurrenz wie Zwiebel das Wasser in die Augen. Erst war das erste Superbike der Bayern hart erwartet, heute schon ist es sehr gefürchtet. Schlank, fast wie eine 600er, ein Handling wie aus dem Bilderbuch und die Leistung wie aus einem James-Bond-Film. Da werd ich fast zum Dauergrinser unterm Helm.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Aber ich grinse gar nicht. Wie ein Kandidat bei der Ein-Millionen-Frage höre ich den Herrn Assinger fragen: „A: Einfach geradeaus weiterfahren und auf einen schnellen Tod hoffen? B: Am Einlenkpunkt beherzt auf das rechte Lenkerende drücken und warten bis nach der langen Finsternis wieder ein Licht aufgeht? C: Sich einfach in den Popsch zwicken und hoffen, dass man aufwacht? oder D: So tun, als wäre alles in Ordnung, kräftig bremsen, einlenken und am Scheitel das Gas wieder aufmachen?"

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Ich bremse immer gerne früh. Dort, wo ich meine Anbremspunkte hab, schalten andere noch einen Gang höher. Aber irgendwie ist jetzt alles anders. Die BMW dürfte am Anbremspunkt doch ein bisserl flotter gewesen sein als sonst meine 750er. Und der Bremsweg ist auf einmal bescheiden kurz. Trotzdem entscheide ich mich für D, kombiniere es mit einem unflätigen Ausdruck, der eigentlich meine Überraschung darüber ausdrücken soll, dass die Kurve heute zeitiger kommt als sonst und greife hart in die Bremsen.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Das Race-ABS arbeitet auf einem Niveau, dass man vergisst, dass man es eigentlich auf der Rennstrecke verteufelt. Auch die Traktionskontrolle ist so edel, dass man meinen könnte, der Resch Roland leitet einen gerade durch die Kurve. In vier Modi kann man die Elektro-Schlümpfe andirigieren, und auf einmal machen technische Helfer auch auf der Rennstrecke Spaß – und mich bringen sie durch die erste Rechts, die ich im Endeffekt eh wieder viel zu langsam nehme.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Eine Runde lang fahre ich auf einer scheinbar leeren Strecke. Das ist das Paradies. Niemand, der einen demotiviert, weil er grüßend überholt, aber auch niemand, der einem übers Vorderrad fährt. Und so fliege ich fast eine Runde über den Pannoniaring. Bis zur letzten Kurve. Dort mach ich das Gas nur langsam auf, fahre gemütlich über die Start-Ziel-Gerade. Aber nicht, weil ich so ein Feigling bin. Sondern um die alle vorbeizulassen, die es jetzt eine Runde lang nicht geschafft haben, auf den Zwischengeraden an der BMW vorbeizukommen. Es ist ein demütigender und nicht endenwollender Moment für die gesamte BMW-Mannschaft, die an der Boxenmauer steht und schaut, wie sich ihr jüngster Spross beweist.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

BMW S 1000 RR
Motor: 4-Zylinder-Viertakt-Motor DOHC
Hubraum: 999 ccm
Leistung: 142 kW (193 PS) bei 13.000 Umdrehungen pro Minute
Drehmoment: 112 Nm bei 9750 Umdrehungen pro Minute
Sekundärantrieb: Kette
Aufhängung vorne: 46-mm-Upside-Down-Gabel
Aufhängung hinten: Zweiarm-Schwinge mit Zentralfederbein
Federweg vorne: 120 mm
Federweg hinten: 130 mm

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Radstand: 1432 mm
Bremsen vorne: Doppelscheibenbremse, Ø 320 mm, schwimmend gelagert, Vier-Kolben-Festsattel
Bremsen hinten: Scheibe, Ø 220 mm, Ein-Kolben-Schwimmsattel
Reifen vorn: 120/70ZR17
Reifen hinten: 190/55ZR17
Tankinhalt: 17,5 Liter
Gewicht vollgetankt: 204 kg
Preis: ab 17.650 Euro

Foto: Wolf-Dieter Grabner