Revolution und Pathos im altmeisterlich-raumgreifenden Format (220 x 400 cm): Neo Rauchs "Fluchtversuch" von 2008 aus der Berliner Privatsammlung Ulla und Heiner Pietzsch.

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Eine Begegnung mit dem Künstler anlässlich zweier großer Werkschauen in Leipzig und München

Foto: VG Bild-Kunst Bonn

Die Ausstellung "Begleiter" feiert den Maler anlässlich seines 50. Geburtstags.

München/Leipzig – Dem Propheten gilt seine Heimat nichts. Auch dann nicht, wenn er sie berühmt gemacht hat. Mehr als 13 Jahre lang hat der Leipziger Maler Neo Rauch um seine Heimatstadt einen mehr oder weniger großen Bogen gemacht. Als er das letzte Mal hier seine Werke gezeigt hat, da war er noch ein Nobody – ein Kunstpreisträger einer x-beliebigen Regionalzeitung. Auch seine Heimatstadt kannte der Rest der Welt damals allenfalls aus Geschichtsbüchern. Heute kennt man sie in New York, Honolulu und in Miami Beach.

Mit Ausstellungen im New Yorker Metropolitan oder in der Wiener Albertina hat Neo Rauch sie berühmt gemacht. Als Label hat er sie zu Markte getragen: Wenn heute irgendwo sein Name fällt, dann reimt er sich auf diese Stadt. Leipzig und Neo Rauch gehören zusammen – vielleicht nicht wie Giotto und Florenz, mindestens aber so wie London und Damien Hirst.

Jetzt ist er zurückgekehrt: In die Stadt, aus der er eigentlich nie fortgegangen ist. Denn während sein Ruhm um die Welt gewandert ist, ist er in seinem Leipziger Atelier gesessen und hat emsig neue Bilder gemalt. Bilder für Connecticut, New York oder London. Nur für Leipzig hat er kaum noch gemalt. Der Maler, der vielen als Musterschüler der "Neuen Leipziger Schule" gilt, ist mit seinen Werken in seiner Heimatstadt merkwürdig unterrepräsentiert geblieben.

In den Museen der Stadt sucht man sein Œuvre meistens vergebens. Das mag auch daran liegen, dass man in der ostdeutschen Metropole nicht mehr mithalten konnte, als die Preise für sein Bilder Stück für Stück in unfinanzierbare Höhen stiegen.

Jetzt aber soll das anders werden. Wenigstens für ein paar Wochen. Anlässlich seines 50. Geburtstags nämlich richtet ihm das Leipziger Museum der bildenden Künste zusammen mit der Münchner Pinakothek der Moderne eine beeindruckende Doppelschau aus.

Unter dem Titel Begleiter werden in den beiden Häusern 120 Werke des Künstlers ausgestellt. Werke, die sonst oft nur noch in internationalen Privatsammlungen zu sehen sind. Es ist die größte Rauch-Retrospektive, die je in Deutschland gezeigt worden ist. Sie umfasst die frühen, oft noch abstrakt und grafisch wirkenden Arbeiten, aber auch aktuelle Gemälde – festgehalten auf Leinwänden, die oft noch nach Öl und Firnis riechen.

In meist thematischer Hängung kann hier die Entwicklung eines Künstlers nachvollzogen werden, der in den letzten Jahren Maßstäbe gesetzt hat. In einer Zeit, in der die Museen von Fotografien und Videos überschwemmt worden sind, war er es, der den ikonischen Rückwärts-Turn gewagt hat. Rauchs oft verrätselte Tafelbilder haben die Malerei in den ästhetischen Diskurs zurückgebracht. Künstler wie Matthias Weischer, Tilo Baumgärtel oder Tim Eitel haben an seinen Stil angedockt. Zusammen mit dem Galeristen Gerd Harry Lybke bildeten sie die "Neue Leipziger Schule" – eine Gruppe, die sich in ihrer realistischen Bildsprache an ostdeutsche Vorläufer anlehnte. An Bernhard Heisig oder Arno Rink. Neo Rauch hat sich früh als deren rechtmäßiger Erbe verstanden. Und das, so zeigt diese beeindruckende Doppel-Retrospektive, nicht zu Unrecht.

An Hybris hat es dem Leipziger Maler ohnehin nie gemangelt. Das wird besonders auf jenen Bildern deutlich, auf denen er seine eigene Künstlerrolle reflektiert hat. In der aktuellen Ausstellung gibt es von diesen mehr als genug. Eines ist sogar ganz frisch. Es trägt den Titel Schilfkind – eine Anspielung auf mythische Findelkinder. Man denkt an Moses oder an Ödipus. Und: Man denkt an Neo Rauch selbst. Denn in Leipzig wird er dieser Tage gefeiert wie ein Heilsbringer. Er ist der verlorene Sohn, der als Megastar zurückgekehrt ist. (Ralf Hanselle, DER STANDARD/Printausgabe, 21.04.2010)