Frauen-Workshop mit Geburtenkontrollkette, erfunden von Maria Hengstberger (Frauenärztin, Entwicklungshelferin und Gründerin der Aktion Regen Wien

Foto: Jutta Reisinger

Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich im Jahr 2000 zum Ziel gesetzt, die Welt zu verbessern. Beseitigung von extremer Armut, Grundschulausbildung für alle Kinder, die Gewährleistung der Chancengleichheit von Frauen und Männern und die Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit sind einige der acht konkreten Millennium-Entwicklungsziele. Doch werden die Vorgaben laut Halbzeitbericht der Vereinten Nationen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara bis zum Jahr 2015 nicht erreicht werden, wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen. Bei der Bekämpfung von Müttersterblichkeit gibt es sogar einen Stillstand. So bringt eine Frau in Guinea/Westafrika laut Statistik des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, UNFPA, 5,6 Kinder zur Welt - die Totgeburten und Abtreibungen sind nicht eingerechnet. Zahlreiche und zu rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften gefährden das Leben von Mutter und Kind. Eine Lienzer Ärztin engagiert sich für die Verbesserung der Situation. Mit Geburtenkontrollketten, die als Zykluskalender dienen, Verhütungsmitteln, Bildgeschichten und informativen Filmen macht sie sich jedes Jahr im Auftrag von Hilfsorganisationen, wie Hammer-Forum e.V. Deutschland und Aktion Regen Wien, auf den Weg nach Afrika.

Persönliche Gespräche

Die Gesundheitseinrichtung der 75.000-EinwohnerInnen-Stadt Guéckédou, einem Grenzort im Dreiländereck Sierra Leone/Liberia, ist das Vorzeigeprojekt von Jutta Reisinger. Im Auftrag des deutschen Hammer-Forums e. V. werden dort täglich Schwangere und stillende Mütter mit ihren Babys und Kleinkindern medizinisch betreut. Vereinzelt kommen auch Männer dorthin. Die MitarbeiterInnen des Centre de Santé Madina werden von der medizinischen Beraterin laufend in Fragen der Familienplanung, insbesondere Verhütung, und HIV/AIDS-Prävention geschult und sie macht immer wieder aufmerksam auf die grausame Tradition der Mädchen-Beschneidung. In Guinea ist sie offiziell verboten, wird aber strafrechtlich nicht verfolgt und findet leider in vielen Regionen immer noch ihre AnhängerInnen. Wichtig seien die persönlichen Gespräche mit den Menschen, erklärt die Ärztin, nur so könne neben der Medikamentengabe auch ein Schritt in Richtung Gesundheitsvorsorge gemacht werden. Die Zahl der Frauen, die dort am Programm Familienplanung teilnehmen, ist innerhalb von zwei Jahren von null auf siebzehn Prozent gestiegen. Das Hammer-Forum hat nun parallel dazu ein Schulprojekt gestartet, bei dem 30.000 SchülerInnen in Themen wie Hygiene, HIV-AIDS-Prävention, Familienplanung, Sexualerziehung unterrichtet werden. Nach Projektablauf sollen die Aktivitäten von Jugendclubs und ausgebildeten LehrerInnen fortgesetzt werden.

Die Kirche bremst

Wer in Afrika helfen will, müsse sich für die Gesundheit der Frau einsetzen, sagt Reisinger. Bestimmende Themen seien Schulbildung statt frühe Verheiratung, Senkung der Kinderzahl in einer Familie mit Hilfe der modernen Verhütungsmethoden und Prävention von schweren Krankheiten. Primär solle jede Frau die Zahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt der Geburten planen können. Freiwillige Familienplanung führe zur Verbesserung der Gesundheit von Müttern und wirke der Kindersterblichkeit unmittelbar entgegen.

Vielerorts liegt das Programm der Familienplanung, im Speziellen der Verhütung, brach: "Vor allem die katholische Kirche lehnt die Anwendung von Kondomen und hormonellen Verhütungsmitteln ab. Dies bremst oder verhindert alle Bemühungen der Geburtenkontrolle. Viele Gesundheitszentren werden von kirchlichen Organisationen geführt und finanziert, die Ausgabe von hormonellen Verhütungsmitteln oder Kondomen findet dort nicht statt. In den staatlichen Zentren arbeiten oft MitarbeiterInnen, die von den Missionsschulen hervorragend ausgebildet worden sind. Aber sie wissen wenig über Verhütungsmittel oder geben ihr Wissen und die Produkte nicht weiter. Die Programme des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zur reproduktiven Gesundheit inkludieren zwar die Verteilung von Verhütungsmitteln, doch das steht nur am Papier und stößt eben in kirchlichen Gesundheitseinrichtungen auf Ablehnung. Die Voraussetzungen für praktizierte Familienplanung sind somit nicht gegeben."

Stattdessen verhungern die Menschen

Die wesentlichen Probleme des rasanten Bevölkerungswachstums und der fehlenden Geburtenkontrolle bleiben weitgehend ungelöst", kritisiert sie. Ihre Beobachtung wird durch die Statistiken der Vereinten Nationen bestätigt: Die Zahl der weltweit hungernden Menschen steuert auf eine Milliarde zu. Am stärksten betroffen ist Afrika. Zudem wird sich laut Bevölkerungsfonds die Bevölkerungszahl in Afrika bis 2050 verdoppeln, in manchen Ländern sogar verdreifachen und weltweit werden dann 9,1 Milliarden Menschen leben. Mit der Bevölkerung wächst auch die Zahl der Hungernden. Gleichzeitig schwindet der Lebensraum durch Abholzung der Wälder, Bodenerosion, Klimawandel und Wasserknappheit. Entwicklungshilfe in Form von Nahrungsmittellieferungen oder Medikamentenvergabe sei letztlich nicht zielführend, meint Reisinger.

Bildung

Die Ärztin resümiert: "Die Menschen dort müssen über den Zusammenhang von Überbevölkerung und Armut informiert werden und dabei motiviert werden, weitreichende Entscheidungen für ihr Leben eigenverantwortlich zu treffen. Die Finanzierung von Familienplanung durch die Industrienationen ist jedoch rückläufig, obwohl dies ein mächtiges Instrument wäre, die Armut unmittelbar zu verringern. Gerade die Frauen und Männer in den Ländern des Südens haben den Wunsch nach kleineren Familien, jedoch fehlt der Zugang zum Wissen und zu den Mitteln."
(Gastbeitrag von Silvia Walder, 23.4.2010)