Wien -  Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) schaltet sich in den Streit zwischen Ärztekammer und Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) ein und mahnt beide Seiten, noch vor dem drohenden vertragslosen Zustand ab 1. Juni zu einer Lösung zu kommen. Er sehe nicht ein, dass die beiden Streitparteien jetzt die Verhandlungen abgebrochen haben. "Die Sozialpartnerschaft hat den Mai zu nutzen", richtete Stöger am Mittwoch beiden Parteien aus. "Es ist an der Zeit, dass sich die Spitzen zusammensetzen", wandte sich der Minister direkt an Ärztekammer-Präsident Walter Dorner und Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl in dessen Funktion als SVA-Obmann.

Für den Fall, dass die Sozialpartner im Mai doch zu keiner Lösung mehr kommen sollte, würde sich der Minister auch selbst einschalten. Er würde sich zwar nicht inhaltlich einmengen, erläuterte Stöger. Er könne sich aber viele Schritte vorstellen, einer davon könnte auch sein, beide Seiten zu sich ins Ministerium zu zitieren, sagte der Minister auf eine entsprechende Frage.

Ärztekammerpräsident Dorner zeigt sich gesprächsbereit

Ärztekammerpräsident Walter Dorner hat am Mittwoch positiv auf den Aufruf von Gesundheitsminister Alois Stöger (S) reagiert, wonach sich im Vertragsstreit zwischen der SVA und der Ärztekammer "die Spitzen zusammensetzen" sollten. Er stehe jederzeit für eine Gipfelrunde zur Verfügung, so Dorner in einer Aussendung.

"Leitl soll sich einschalten"

Die Ärztekammer hatte zuvor an den Obmann der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA), Christoph Leitl appeliert, sich persönlich in die stockenden Vertragsverhandlungen einzuschalten. "Kommen sie persönlich an den Verhandlungstisch und setzen Sie ihr ganzes Gewicht als Obmann der SVA für eine Lösung ein", ersucht die Ärztekammer in einem offenen Brief den Wirtschaftskammer-Präsidenten.

In einer Pressekonferenz äußerte Ärztekammer-Vizepräsident Günther Wawrowsky am Mittwoch die Erwartung, dass Leitl in der jetzigen "Extremsituation" seine Verantwortung wahrnehmen werde.

"Brauchen in Verhandlungen entscheidungsfähiges Gegenüber"

Man brauche in den Verhandlungen ein Gegenüber, das auch entscheidungsfähig sei, begründete Wawrowsky seine Forderung. Der stellvertretende SVA-Obmann Martin Gleitsmann habe nur an seinen Positionen starr festgehalten und kein Entgegenkommen zeigen können, es habe sich deshalb aus seiner Sicht nicht um Verhandlungen, sondern nur um Gespräche gehandelt.

Leitl fordert klare Zielsetzungen

"Die SVA und ich persönlich verschließen uns weiteren Gesprächen natürlich nicht - allerdings müssen die Voraussetzungen stimmen und es muss klare Zielsetzungen geben", erklärte Leitl in einer Aussendung umgehend seine Bereitschaft zur Teilnahme an den Verhandlungen. Als Bedingung dafür nannte er allerdings, dass die Ärztekammer bereit sei, über einen "nachvollziehbaren Stufenplan" zur Beendigung der Schlechterstellung der Selbstständigen gegenüber den GKK-Versicherten zu reden. Außerdem werde er "selbstverständlich nur unter Beiziehung des jetzigen Verhandlungsteams" an etwaigen Gesprächen teilnehmen. Der Wirtschaftskammer-Präsident betonte auch, dass mit dem Schreiben der Ärztekammer erstmals nun eine offizielle Einladung an ihn erfolgt sei. "Bisher bestand der Beitrag der Ärztekammer vor allem aus medialen Attacken auf das Verhandlungsteam."

Wawrowsky kritisiert SVA

Wawrowsky warf in seiner Pressekonferenz der SVA vor, an einer Fortführung des Gesamtvertrages nicht mehr interessiert zu sein. Gleichzeitig zeigte er sich für die Zukunft betont pessimistisch: "Man wird sich trennen müssen."

Leitl bekräftigte hingegen neuerlich die SVA-Forderung, die Tarife an jene der Gebietskrankenkassen, die im Schnitt um 50 Prozent niedriger lägen, anzunähern. "Die Wirtschaft hat sich intensiv und unermüdlich um eine Lösung bemüht. Nun liegt es an der Ärztekammer, die Blockadehaltung aufzugeben und einen konkreten und glaubwürdigen Vorschlag für faire Tarife zu unterbreiten", sagt Leitl. "Unser Ziel ist ein nachvollziehbarer Stufenplan, mit dem die bestehende Schlechterstellung der Selbstständigen ausgeräumt wird."

Möglicher vertragsfreier Zustand ab 1. Juni

Auf den möglichen vertragsfreien Zustand ab 1. Juni bereiten sich unterdessen nicht nur die SVA, sondern auch die Ärzte vor. In einer am Mittwoch von der Kammer herausgegebenen Honorarempfehlung wird den Ärzten geraten, ihre Tarife dann um 20 Prozent anzuheben. Das entspreche der Inflationsrate der letzten vier Jahre, in denen es keine Erhöhungen gegeben habe. Nachdem die Ärzte in einem vertragslosen Zustand dann aber de facto Wahlärzte wären, bleibe es jedem Arzt unbenommen, selbst seine Honorare festzulegen, betonte Wawrowsky.

Von einem drohenden vertragslosen Zustand für die gewerblich Versicherten wären etwa 410.000 Personen unmittelbar betroffen. Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) hat zwar insgesamt 675.537 Anspruchsberechtigte, für rund 265.000 Personen davon würde sich aber auch durch einen vertragslosen Zustand nicht viel ändern.

Mehr als ein Drittel der SVA-Versicherten, nämlich etwa 234.000 Personen, sind zusätzlich auch noch bei einem anderen Träger versichert, mit 181.000 der überwiegende Teil bei einer Gebietskrankenkasse. Diese Personen können bei einem Arztbesuch ihre Leistung einfach über den anderen Versicherungsträger abrechnen lassen.

Im Falle des vertragslosen Zustandes müssten die betroffenen Patienten beim Arzt direkt bezahlen und dann ihre Rechnung bei der SVA einreichen. Sie würden dann aber nur einen Teil der Kosten rückerstattet bekommen, wobei es in der Regel auch weniger als die häufig kolportierten 80 Prozent sein würden. (APA)