An der zum Briefmarkenbefeuchten abgestellten Dienstbotin bleibt gleich einer kleben. Komische Miniatur von 1906.

Foto: Kurzfilmtage

Das analoge Kino, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die das 20. wesentlich prägte, sieht sich gegenwärtig radikal infrage gestellt. Von der Industrie schon als so gut wie erledigt betrachtet, scheint es buchstäblich ein Fall fürs Museum. Denn bald verfügen womöglich nur noch Cinematheken über das nötige Equipment, um Filmmaterial zu projizieren.

An solchen Schwellen macht es doppelt Sinn, sich die eigene Geschichte wieder zu vergegenwärtigen. Und die 56. Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage wird man zweifellos dafür in Erinnerung behalten, dass die Rückkehr zum Anbeginn der Kinematografie die vielfältigsten und nachhaltigsten Eindrücke produzierte. Rund hundert Filmbeiträge hatten die beiden Kuratoren Eric de Kuyper und Mariann Lewinsky mitgebracht - sowie mit Donald Sosin einen hochmotivierten Pianisten.

Vom Meeresgrund: Das Experiment Film 1898-1918 fokussierte auf jene Jahre der Filmgeschichte, bevor sich der Langfilm als dominante Form etablierte. Zu sehen war dabei: eine weltoffene Neugier, die sich den alltäglichsten Gebräuchen in der eigenen Umgebung ebenso zuwandte wie den entlegensten Gegenden und deren Bewohnern. Bilder von bretonischen Bauersfrauen, die bereitwillig ihr Haar zum Markte tragen, oder aus Marokko, wo man Kühe per Hebelwirkung aus einfachen Kähnen hievt. Und eine Anarchie, die sich Einschränkungen durch Klasse oder Geschlecht widersetzte: Eine "nervöse Haushälterin" empört sich per umfassender Porzellanvernichtung über ihren Dienstherrn; eine kleinbürgerliche Sippe landet wegen Crossdressing im Polizeigewahrsam.

Rollenbilder, umgeprägt

Auch andere Spezialprogramme konnten sich sehen lassen:Etwa das schmale Tribute an die 1931 geborene schwedisch-amerikanische Experimentalfilmemacherin Gunvor Nelson. Die stellte zum Beispiel 1966 - gemeinsam mit Dorothy Wiley - eine recht ungnädige Auseinandersetzung mit den traditionellen Anforderungen ans Frausein her: Schmeerguntz collagiert Reklame, TV-Mitschnitte von Miss-Wahlen und Ähnliches in rasanter Montage mit Aufnahmen der Hausfrauenhölle aus Wäschebergen, Babykacke und anderen Ausscheidungen.

1984 realisierte Nelson unter Mitwirkung ihrer Eltern und ihrer eigenen Tochter ein dichtes, schwarz-weißes Filmessay über familiäre Beziehungen. Red Shift ist außerdem eine sehr konkret geführte Reflexion übers Altern und die allmähliche Ablöse der Generationen - unsentimental, aber zugleich eigentümlich berührend. So erhielt man kleine Einblicke in ein stilistisch vielseitiges filmisches Werk, das man auch hierzulande einmal vorstellen könnte.

Für einen weiteren schönen Bestandteil des diesjährigen Oberhausen-Programms ist diese Möglichkeit bereits gesichert: Die vom Wiener Kulturtheoretiker Christian Höller kuratierte Reihe zum No-Wave-Film der 1970er- und 80er-Jahre mit Arbeiten von Bette Gordon, John Lurie, Beth und Scott B und anderen wird, um etliche Langfilme erweitert, von 4. bis 14. Juni im Österreichischen Filmmuseum zu sehen sein. (Isabella Reicher aus Oberhausen, DER STANDARD/Printausgabe, 06.05.2010)