Sympathischer Proll im Anzug: der genialische James Murphy.

Foto: EMI

Es gibt ein schönes Bild von James Murphy. Darauf trägt er ein weißes T-Shirt, auf dem das Logo der US-amerikanischen Hardcore-Band Black Flag modifiziert wurde. Im Original besteht dieses von Raymond Pettibon entworfene Logo aus vier gleich großen schwarzen Balken. Zwei davon sind vertikal leicht versetzt. Darüber steht "Black", darunter "Flag". Auf Murphys Brust sind die vier Balken bunt. Darüber steht "Rain", darunter "Bow". Diese Umdeutung entspricht dem Werk des New Yorkers mit seinem LCD Soundsystem: Murphy erfüllt alte Ideen mit neuem Leben. Dabei ist er nie bloßer Kopist, sondern transformiert seine Liebe zum Postpunk und zur frühen New Wave in mitreißende, meist tanzbare Stücke. Zitatenreich, ironisch, obsessiv und vor allem inspiriert hat er so eine eigene Soundästhetik geboren, die in dem 2007 erschienenen Meilenstein Sound Of Silver gipfelte. Eines der zentralen Werke der Dekade mit den Nullen. Heute, Freitag, erscheint das dritte Studioalbum des LCD Soundsystem: This Is Happening.

Wie legt man nach einem Meisterwerk nach? Diese Frage musste den Mann, für den Black Flag, Joy Division oder The Fall gleich wichtig sind wie fast vergessene Disco-Pioniere, zwangsweise beschäftigen. Aber anstatt sich stilistisch zu verrenken und dabei Gefahr zu laufen, seine Authentizität einzubüßen, hat er einfach weitergemacht. This Is Happening schließt nahtlos an Sound Of Silver an. Zitat-Pop, weit draußen im Nerdhimmel. Am Cover wird der eben erst am Kremser Donaufestival aufgetretene US-Komponist Glenn Branca bemüht. Dessen 1981 erschienenes Album The Ascension schmückte eine Arbeit des Künstlers Robert Longo, die zwei kühle junge Männer in kühlen schwarzen Anzügen in misslicher Lage zeigte. Die aktuelle Single Drunk Girls beleiht Brancas Debüt, Lesson No. 1, dessen Typografie Murphy dafür eins zu eins übernommen hat. Und statt wie zuletzt im Ruderleiberl ließ er sich für das neue Album ebenfalls im Longo-Style fotografieren: schwarzer Anzug, schmaler Schlips - aber barfuß. Das unterstreicht die Punk-Attitüde, die mit einem gewissen Proloschmäh den Murphy-Charme abrundet.

Artifizieller Pop-Appeal

Auch musikalisch lässt der 40-Jährige wieder die frühen 1980er-Jahre hochleben. Wobei er dieses Mal den Fokus von den Talking Heads mit Brian Eno abzieht und in Richtung David Bowie verlagert - mit Brian Eno. All I Want klingt so sehr nach Bowie in dessen Berlin-Phase, dass man glaubt, man hätte Lodger aufgelegt.

I Can Change umarmt den britischen Kajalstiftgott Gary Numan, der damals atmosphärereiche Synthie-Pop-Songs wie Down In The Park oder Cars produziert hat. Gespenstische Minidramen mit zeitgeistig artifiziellem Pop-Appeal, dessen ewige Qualität das Trüffelschwein Murphy natürlich erkennt. Pow Wow wiederum kleidet den minimalistischen Funk von ESG oder Konk in zeitgenössischen Fummel. Das ist im LCD-SS-Universum alles nichts Neues, aber es klingt so überzeugend wie auf den ersten beiden Alben.

Erwartungshaltungen umschifft Murphy mit Konsequenz. Diese sind das Problem des Publikums, nicht seines. Was er zu sagen hat, ist klar: This Is Happening, das hier ist Sache! Für alle, denen das zu schwierig ist, spricht er in einem Song Klartext: "You wanted a Hit, but maybe we don't do Hits. I try and try it ends up feeling kind of wrong." Besser richtig als falsch - das ist Murphy's Law.

Das LCD Soundsystem muss sich nicht verändern, und noch besser konnte es kaum werden. Also unterstreicht Murphy die Kernkompetenz. In ausufernden Sechs-, Sieben, Acht- und Neunminütern wird all sein Fanatismus, sein Wissen und sein Schmäh verpackt und mit Anlauf auf den Tanzboden befördert. Dazwischen gibt es zwei, drei ruhigere Stücke. So eine Bierwampe drückt schließlich auf die Kondition. Ansonsten kann man nur sagen: Der Meister hat wieder zu uns gesprochen, und wahrlich, es war gut! (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2010)