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Gibt es einen guten Spekulanten? Oder sind sie alle böse? Die Frage nach der Ethik war auch für die Ex-Fondsmanagerin Susan Levermann einer der Gründe, ihren Job an den Nagel zu hängen. Eine eindeutige Antwort darauf gibt es wohl nicht.

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Susan Levermann. "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Spekulation an sich nicht böse ist."

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2008 schien Susan Levermann am Gipfel ihrer Karriere angelangt. Nach acht Jahren als Fondsmanagerin bei der Deutsche-Bank-Tochter DWS hielt sie ihren Preis für den besten Deutschland-Aktienfonds über ein und drei Jahre in ihren Händen. Der Preis, den sie über alle Jahre hinweg gewinnen wollte. Doch statt Freude und Begeisterung, machte sich das Gefühl der Leere breit. "Nach Erreichen des Gipfels habe ich kurz den Ausblick genossen. Nur um dann festzustellen, dass es für mich spannender war, auf den Berg zu steigen, als oben zu sein", sagt Levermann im Gespräch mit derStandard.at.

Die Sinnkrise kam nicht von einem Tag auf den anderen , fand mit der Preisverleihung aber ihren Höhepunkt. Levermann kündigte. Kurzfristig wurde die ausgezeichnete Fondsmanagerin zur Mathematiklehrerin. Das habe ihr viel Spaß gemacht, auch wenn es ein Kulturschock war: "Von der Frankfurter Finanzwelt in eine Berliner Schule mit Kids in der Pubertät." Heute arbeitet sie für eine Berliner NGO im Umweltbereich und hat ein Buch für Anleger geschrieben.

Im Interview spricht Susan Levermann über ihre Arbeit als Fondsmanagerin, warum Fonds immer noch gut sind für Kleinanleger und ob der Aktienkauf per se böse ist.

derStandard.at: Macht Geld glücklich?

Susan Levermann: Oje, das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, wenn man zu sehr nach dem Geld schielt und ihm zu sehr hinterher jagt, dann kann es auch unglücklich machen. Es beruhigt bestenfalls.

derStandard.at: Hat es Sie beruhigt in Ihrer Zeit als Fondsmanagerin?

Levermann: Eine Zeit lang schon, ja. Mich hat aber weniger die Jagd nach Geld fasziniert, sondern dieser Wettbewerb; das Gefühl, dass man transparent gemessen wird, dass man wie in einem Bundesliga-Spiel täglich gewinnen oder verlieren kann.

derStandard.at: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich zu Beginn Ihrer Tätigkeit als Fondsmanagerin nicht besonders gut ausgekannt haben, dass Sie vieles per "Learning by Doing" im Job erst gelernt haben. Kann man daraus schließen, dass grundsätzlich jeder lernen kann, wie man Geld an der Börse machen kann?

Levermann: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Jeder kann das lernen, wenn er wirklich will. Allerdings gehört auch hier, wie bei fast allem anderen auch, ein bisschen Arbeit dazu. Als Kleinanleger braucht man so etwas wie einen Crashkurs in Buchhaltung, Betriebswirtschaft usw. Und man muss bereit sein, sich diese Vokabel anzueignen, die wichtig sind. Und ein gewisses Interesse muss auch vorhanden sein.

derStandard.at: War das eines der Probleme, warum viele Kleinanleger mit Aktien oder Fonds im Zuge der Krise auch Geld verloren haben? War da zu wenig Interesse und Wissen für die Materie vorhanden?

Levermann: Ja, das denke ich schon. Es ist immer gefährlich, wenn man sich von seinem Bankberater Dinge einreden lässt, die man selbst nicht so richtig versteht. Es gibt einfach Finanzinstrumente, die sind so komplex, dass sie nicht einmal der Bankberater selbst versteht, der sie verkaufen muss. Da muss man den Banken schon vorwerfen, dass sie ihre eigenen Verkäufer unter Druck setzen. Die müssen dann die Produkte verkaufen, die die Bank gerade für spannend hält, und nicht das, was der Kunde im Moment braucht. Von Seiten der Banken wird da teilweise nicht wirklich Beratung betrieben, sondern Verkauf.

derStandard.at: Hatten Sie als Fondsmanagerin eigentlich Kontakt zu Anlegern?

Levermann: Das konnte man als Fondsmanager ein bisschen selbst entscheiden, wie stark der Kontakt zu den Kunden ist. Ich persönlich hatte immer lieber mehr als weniger Kundenkontakt. Einmal weil ich gemerkt habe, dass es natürlich auch den Zuflüssen für den Fonds guttut, weil die Kunden auch das entsprechende Vertrauen in einen gewinnen, wenn sie einmal die Person hinter dem Fonds gesehen haben. Zweitens fand ich es immer sehr hilfreich, wenn man sieht, was die Kunden von einem Fondsmanager oder dem Fonds erwarten.

derStandard.at: Wie ist es Ihnen dann gegangen, wenn Sie nach einem Kursabsturz erboste oder verzweifelte Kunden am Telefon hatten?

Levermann: Schlecht. Man leidet natürlich mit den Kunden mit, auch wenn sie nicht anrufen. Ich hab das in der zweiten Hälfte 2007 erlebt. Die Märkte begannen zu schwächeln, und ich hatte meine Fonds noch nicht dementsprechend angepasst. Wir haben das dann proaktiv gemacht. Auf Kundenveranstaltungen haben wir klar gesagt, was da jetzt schief gelaufen ist und was wir machen werden. Ich glaube, das ist ganz gut angekommen bei den Kunden. Offenheit, Ehrlichkeit , Transparenz, und dass man in schlechten Zeiten nicht auf die Kunden vergisst - das ist das einzige, was funktioniert.

derStandard.at: Sind Fonds statt oder neben dem Sparbuch eine Alternative für Kleinanleger?

Levermann: Ich bin nach wie vor ein großer Fan von Fonds. Sie sind eine super Möglichkeit für jemand, der nicht so viel Geld hat, breit gestreut in Aktien zu investieren. Es ist vielleicht nicht ganz so leicht für einen Privatinvestor, den richtigen Fonds zu finden. Da kann ich nur den Tipp geben, sich jene Gesellschaften anzusehen, die schon den einen oder anderen Preis bekommen haben. So hat man eine gewisse Sicherheit.

derStandard.at: Wie risikoaffin muss oder sollte ich für einen Fonds sein?

Levermann: Wichtig ist immer, dass Sie Geld investieren, das Sie die nächsten drei bis fünf Jahre nicht brauchen. Es darf kein Geld sein, das ich brauche, weil morgen die Waschmaschine repariert werden muss. Und man muss bereit sein zu akzeptieren, dass das Investment heute 5000, morgen 7000 und übermorgen 6000 Euro wert ist. Diese Schwankungen muss man ertragen können. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist man risikobereit genug.

derStandard.at: Sie zitieren in Ihrem Buch Jason Zweig mit dem Satz: "Finanzielle Verluste werden in denselben Hirnregionen verarbeitet, die auf lebensbedrohliche Gefahren reagieren." Woher kommt dieser Zusammenhang?

Levermann: Das ist krass, oder? Wenn man lange an der Börse tätig war, gewöhnt man sich irgendwann an die Dinge dort, dann ist das nicht mehr so lebensbedrohlich. Aber ich fand diese Erkenntnis dennoch sehr spannend. Man hat das ja rausgefunden, indem man im Magnetresonanztomographen Experimente gemacht hat. Das Gehirn wählt für finanzielle Verluste also dieselbe Region wie bei einer lebensbedrohenden Gefahr. Da sieht man, dass der Mensch offensichtlich Vermögen und finanziellen Wohlstand mit Existenzbedrohung verbindet.

derStandard.at: Da kommen wir auch gleich zur Psychologie an den Märkten. Vom Vollmond bis zum Ausgang des Fußballmatches – alles zeigt seine Wirkung auf die Börsen. Kann man sich bzw. wie kann man sich dem entziehen?

Levermann: Der interessante Part ist ja, dass die Psychologie der Marktteilnehmer auch die Fundamentaldaten mitbestimmt. Deswegen kommt man um dieses Thema auch nicht herum. Völlig ausschalten kann man psychologische Faktoren nicht, weil es immer der Mensch ist, der investiert, der die Entscheidungen trifft. Selbst hinter jedem Computerprogramm steht schließlich auch immer ein Mensch. Deswegen muss man sich mit Börsenpsychologie beschäftigen, wenn man verstehen will, was da vor sich geht.

derStandard.at: Sie stellen im Buch eine Art Checklist zur Bewertung von Aktien vor. Auch in dem von Ihnen verwendeten quantitativen Ansatz fließen auch nicht nur Fundamentaldaten ein?

Levermann: Ich habe da versucht, zwei Sachen miteinander zu kombinieren: Ich wollte einmal dem Leser zeigen, wie man die richtigen Unternehmen, und damit die richtigen Aktien, findet. Zweitens soll der Investor damit das richtige Timing hinkriegen. Und da fließt natürlich die Psychologie mit rein. Es nutzt ja nichts, wenn Sie ein gutes Unternehmen gefunden haben, und alle Investoren schon so überzeugt sind, dass die Erwartungen extrem hoch sind. Dann gibt es kaum noch Potenzial für eine schöne Performance.

derStandard.at: Ethik und Geld, Ethik und Börse spielen in Ihrem Buch eine erstaunlich große Rolle. Waren Sie als Fondsmanagerin böse?

Levermann: Ich war nicht böse, aber ich war natürlich Teil des Systems. Und das System ist natürlich auf Performance und Rendite ausgerichtet. Ich habe, wie andere Kollegen auch, auf Hauptversammlungen gefordert, dass man unrentable Unternehmensteile schließt oder Arbeitsplätze reduziert. Das war so ein bisschen Teil meiner Sinnkrise. Ich habe mich gefragt: Zu welcher Welt hast du da eigentlich beigetragen? Und was hast du überhaupt beigetragen zur Welt? An diesen Fragen bin ich eben hängen geblieben, und das hat mich dann auch zum Thema Ethik gebracht: War das eigentlich ethisch vertretbar, was wir da gemacht haben? Ich denke, ich leiste jetzt mehr Gutes zur Welt als vorher.

derStandard.at: Waren sie also vorher böse?

Levermann: Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Spekulation an sich nicht böse ist. Es gehört zum menschlichen Dasein dazu. Es gibt Momente, wo Spekulationen sogar einen guten Beitrag zur allgemeinen Wohlfahrt hatten. Zum Beispiel trägt ein Value Investor, der gegen die Marktmeinung investiert, vielleicht auch dazu bei, dass Schwankungen reduziert werden. Das wäre aus einer ethischen Perspektive ein positiver Beitrag zur Wohlfahrt. Dann kann Spekulation sogar was Gutes sein. (Daniela Rom, derStandard.at, 19.5.2010)