Standard: Ihre Romane handeln von Prostitution, Korruption und spielen auf viele Problematiken im neuen Südafrika an wie etwa die moralischen Konflikte, die sich zwischen Polizeiarbeit und politischer Korrektheit ergeben. Angeblich sind der Tourismusverband und Abteilungen der Polizei über Ihr letztes Buch nicht so erfreut?

Orford: Für meine Recherchen arbeite ich sehr eng mit der Polizei zusammen. Als ich Daddy's Girl (deutsch Todestanz) verfasst habe, war gerade der Skandal mit Polizeichef Jackie Selebi im Gange. Mich hat interessiert, wie das Polizeiwesen in einem Land funktionieren kann und wie dessen Beamte es mit sich selbst und ihrer Arbeit vereinbaren können, wenn ihr höchster Vorgesetzter sich wegen Korruption vor Gericht verantworten muss.

Standard: Über Kriminalität zu schreiben, die zum Alltag zählt, ist für Sie ein Weg, um diese wieder der "Normalität" zu entheben? Kann man damit überhaupt ein normales Leben führen?

Orford: Als Eltern, wie überall, hat man panische Angst, wenn die Kinder das Haus verlassen. Nur ist diese hier viel stärker ausgeprägt. Man tendiert zur Überreaktion, geht sofort von null auf hundert. Gleichzeitig entwickelt sich ein Sinn dafür, gefährlichen Situationen aus dem Weg zu gehen. Als Frau ist man abends immer abgeneigt, sein parkendes Auto allein aufzusuchen. Manchmal überkommt einen deshalb schon das Gefühl, sich nicht vollkommen frei bewegen zu können. Jedoch versucht man, in diese Vorsichtsmaßnahmen nicht mehr hineinzuinterpretieren, als sie sind.

Standard: Befassen sich Ihre Krimis eingehend mit den Motiven von Verbrechen, über die man täglich in der Zeitung liest?

Orford: Zentralmotiv in Todestanz war meine Fragestellung, wie man spezifisch in unserer Gesellschaftsstruktur ein guter Vater sein kann. Aufgeworfen wurde dies durch eine Reihe von Morden an kleinen Mädchen, die vor ein paar Jahren in einem Zeitraum von zwei Wochen passiert sind. Wie umschreibt man eine Gesellschaft, in der der Mörder (im Roman) jene Gesellschaft personifiziert, in der diese Mädchen leben? Mein Anliegen war es, einen Zusammenhang zu schaffen, der Einblick gibt, wie eine solche Gesellschaft zustande kommt, wo Kinder einfach so verschwinden können. Und wie Leute darauf reagieren.

Standard: Ihre Romanfigur Dr. Clare Hart befasst sich intensiv mit dem Thema Verbrechen an Frauen im Südafrika der Post-Apartheid. Woher kommt diese Gewalt?

Orford: Die Verhältnisse in unserem Land sind sehr komplex. Es gibt hier zum einen unglaublich viele gastfreundliche und offene Mitmenschen, zum anderen klingen das Trauma der Apartheid, des Kolonialismus und die nicht erfüllten Erwartungen nach 1994 noch nach. Die Verarbeitung von Schuld ist seither ein Thema. In den 1980er-Jahren war das Land in höchstem Maße militarisiert. Man kann sich die Situation damals wie einen bürgerkriegsähnlichen Zustand vorstellen, der unter anderem auch zu einem Anstieg von sexueller Gewalt geführt hat. Meiner Meinung nach hatten wir einen Bürgerkrieg, der zwar politisch gelöst wurde, die aufgestauten Aggressionen aber fanden ihr Ventil zwangsweise in der Familie.

Standard: Die Dominanz des Mannes erscheint hier sehr präsent. Wie beschreiben Sie seine Rolle?

Orford: Wir haben ein sehr patriarchalisches System, Männer müssen sich als Männer beweisen, egal ob schwarze oder weiße Afrikaner. Apartheid war von einer unterschwelligen sexuell geprägten Macht bestimmt - afrikanische Männer wurden "boy" genannt, von ihren Familien getrennt und somit ihres Rechtes, ein Erwachsener zu sein, beraubt. Das hat ihnen die Würde und den Stolz genommen, was in vielerlei Hinsicht großen Schaden hinterlassen hat. Die Folgen, so wie ich sie deute, waren ein sich daraus entwickelnder Hass, Bitterkeit und gebrochene Familienstrukturen. Weiters wurde die Rolle des Mannes als Versorger durch die hohe Arbeitslosigkeit infrage gestellt. Man ist kein richtiger Mann, wenn man nicht für seine Familie sorgen kann. Das nagt am Selbstvertrauen.

Standard: Was haben Sie durch Ihre Arbeit persönlich über die Psyche Ihres Landes gelernt?

Orford: Bei Daddy's Girl habe ich einen Schreib-Workshop mit 15 Männern aus einem Hochsicherheitsgefängnis veranstaltet. Obwohl sich die Zusammenarbeit mit ihnen anfänglich als sehr schwierig erwies, bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass das Böse im Grunde genommen nicht existiert. Es manifestiert sich in bestimmten Menschen, die wiederum von gewissen Faktoren wie familiärem Hintergrund, Ausbildung, Freundeskreis etc. geprägt sind. Vor diesem Kurs war ich, wie viele andere, von einer Angst geplagt, dass das "Böse" in Südafrika uneindämmbar, unkontrollierbar und unvorhersehbar ist. Meiner Meinung nach haben die Lösungen für diese Art von Problemen sehr viel mit Sozialarbeit und Fürsorge zu tun, die in vielen kleinen Schritten erreicht werden können.

Standard: Wie, denken Sie, beeinflusst der von vielen Seiten kritisierte polygame Lebensstil von Präsident Zuma (dessen vierte Frau unlängst sein 20. Kind geboren hat) den Status der Frau in Südafrika?

Orford: Er reduziert sie praktisch zur Gebärmaschine. Zumas Beteuerung seiner kulturellen Werte und Traditionen sind nur ein Vorwand, um sich der Verantwortung über sein unangemessenes sexuelles Verhalten zu entziehen. Es ist durchaus bekannt, dass die Mutter eines seiner Kinder, das aus einem nicht einstimmigen sexuellen Akt gezeugt wurde, HIV-positiv ist. Meiner Meinung nach unterbindet das Verstecken hinter seiner Kultur jegliche Art von Debatte. Viele schwarze wie auch weiße Afrikanerinnen lehnen sein Verhalten vehement ab.

Standard: Ihre Geschichten, die fast alle in Kapstadt spielen, geben einen Einblick in die Schwierigkeiten des täglichen Miteinanderlebens verschiedener ansässiger Kulturen. Können diese überwunden werden?

Orford: Das Polizeiwesen stellt ein perfektes Beispiel dar: Schwarze Afrikaner wie Zulus oder Xhosa, Weiße und Muslime werden zusammen auf Streife geschickt oder teilen sich ein kleines stickiges Büro und müssen einen Weg finden, ihre Differenzen zu überwinden. Das scheint meist auch gut zu funktionieren, da sie zusammen berufsbedingt traumatische Situationen erleben und verarbeiten müssen, mit denen Menschen im Alltag nicht konfrontiert werden. Für mich als Schriftstellerin war das insofern eine spannende Beobachtung, weil solchen Situationen ein gewisses Ausmaß an Realität zugrunde liegt.

Standard: Sie studierten bei Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee. Hat er Sie auf eine Weise beeinflusst oder inspiriert?

Orford: Ich mag seinen kargen Stil, mit dem er direkt den Kern der Sache trifft. Allerdings sehe ich die Verhältnisse in unserem Land anders als er. Seine Romanfiguren sind meist ungreifbar und distanziert zur Handlung. Meine dagegen sind sehr engagiert, weil mein Genre mir erlaubt, offen darauf einzugehen, warum Südafrika so ist, wie es ist, da es auf die Frage nach dem Warum aufgebaut ist.

Standard: Haben Sie Bedenken in Bezug auf Sicherheit während der Fußball-WM im Sommer?

Orford: Nicht wirklich. Es gibt vergleichsweise nur wenige Überfälle auf Touristen, weil sich diese nicht in Gegenden verlieren, die gefährlich sein könnten. Es ist zudem erwiesen, dass bei vielen Verbrechen das Opfer den Täter kennt. Auch vor Terroristen muss man sich hier nicht fürchten. Ich habe da eher wegen der vielen Hooligans Bedenken. Es wäre mit Sicherheit spannend, wenn sich diese mit unseren "schlechten Jungs" einmal richtig prügeln würden. Vielleicht wäre dann diese Art von Problemen ein für allemal gelöst.

Standard: Warum haben Sie sich entschieden, mit Ihrer Familie von Namibia nach Südafrika zurückzukehren?

Orford: Meine Eltern sind geborene Südafrikaner. Außerdem ist es ein wunderschönes Land. Man ist einerseits ständig mit einer Ungewissheit konfrontiert, die andererseits aufregend ist und einen in einen permanenten Bereitschaftszustand versetzt. Das erzeugt eine interessante Dynamik, die Menschen kreativ macht, in dem sie Möglichkeiten finden oder sich diese einfach schaffen. Mit allem, was man hier tut, trägt man in irgendeiner Weise dazu bei, etwas zu verändern. Man hat das Gefühl, mitzuhelfen, ein Land aufzubauen.

(Sandra Pfeifer, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 22./23./24.05.2010)