Der dritte in einem Auktionssaal erteilte Zuschlag jenseits der 100-Millionen-Marke. Am 5. Mai 2010 wechselte ein Picasso-Gemälde (rechts an der Wand) für 106,48 Mio. Dollar den Besitzer.

Foto: Christie's

...in allen Preisklassen und bis in luftige 100-Millionen-Höhen.

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Wien - Gerüchteweise sollen die servierten Cocktails zu vier Fünfteln aus Gin und zu einem Fünftel aus Tonicwater bestanden haben. Gegen halb sieben Uhr abends trollt sich das Korps der 1000 (einfluss)reichsten Manhattaner von der Dachterrasse des Sotheby's-Headquarters und annektiert die Sitzplätze im Auktionssaal. Die Welt schreibt den 5. Mai 2004, und die US-Leitzinsen verharren auf dem damals historischen Tiefstand von einem Prozent.

In der 1334 York Avenue laufen andere Wetten. Konkret auf einen melancholisch blickenden Jungen in blauer Arbeitskluft vor einer rosafarbenen Wand, 1905 von Pablo Picasso gemalt und Garçon à la Pipe betitelt. Das aus der rosa Periode des Künstlers stammende Werk habe das Zeug, den seit 1990 an der Spitze der teuersten Künstler regierenden van Gogh vom Thron zu stoßen. Die Hürde: 82,5 Millionen Dollar, die sein Porträt Dr. Gachet erzielt hatte.

Innerhalb weniger Minuten dirigiert Auktionator Tobias Meyer die von sieben Bietern deponierten Gebote. Erst bei 93 Million besiegelt sein "Sold" den finalen Zweikampf, inklusive der Provision des Auktionshauses hatte der Käufer 104,16 Millionen Dollar bewilligt. Erstmals in der Geschichte des Kunstmarktes und der seit dem 18. Jahrhundert aktiven Auktionsbranche wechselte damit ein Gemälde offiziell für mehr als 100 Millionen Dollar den Besitzer.

Auktionshäuser sind - und das ist für das Prädikat "teuerstes Kunstwerk" ebenso von Relevanz wie für ein Ranking der "Top 10" - die einzigen Teilnehmer des weltweiten Kunstmarktes, die ihre Zahlen veröffentlichen. Diskretion überlässt man Museumskuratoren und dem Handel, denn die Kommunikation solcher Rekorde gilt als wichtigstes Marketingtool, lockt die nächsten Einbringer von Kunstwerken und damit weitere Anwärter auf den Thron des Superlativs. Und das erklärt auch, warum abseits des Auktionssaals vermittelte Deals zunehmend an die Öffentlichkeit sickern.

Etwa 24 Monate nachdem Picasso also die magische Grenze durchbrochen hatte, ließ sich Ronald Lauder - mit Finanzierungshilfe von Christie's - das an Maria Altmann restituierte Porträt Adele Bloch-Bauers von 1907 135 Millionen Dollar kosten. Eine neue Benchmark, die Tobias Meyer kein halbes Jahr später im Zuge eines Privatverkaufs bei Jackson Pollocks No. 5, 1948 mit 140 Millionen übertraf. Bis heute markiert dieser Deal den höchstdotierten offiziellen Kunstkauf.

Kunst-Ikonen

Erzielt werden solche Werte aber nur für Kunstwerke mit Ikonenstatus. Dazu zählt die Chronik nunmehr auch Alberto Giacomettis Bronze L'homme qui marche (104,32 Mio. Dollar, Sotheby's London, Februar 2010), die sich ebenso über die 100-Millionen-Grenze hinwegsetzte wie jetzt Pablo Picassos Nu au plateau de sculpteur (106,48 Mio. Dollar, Christie's New York, Mai 2010). Ihre Gemeinsamkeit: Mehrere Personen waren bereit, ein Vermögen zu verprassen, nur jeweils einer tat es dann auch tatsächlich.

Nach einem für den Kunstmarkt eher flauen Jahr 2009 und trotz der derzeitigen Krisenstimmung purzeln wieder die Rekorde! Ja, sogar in Österreich, wo das Dorotheum dieser Tage bereits das beste Halbjahresergebnis in der Geschichte des Unternehmens besiegeln konnte.

Denn seit den 80er -Jahren spülten Finanzmarkt-Krisen Milliarden von Dollar an "Fluchtkapital" in den Kunstmarkt. Die weltweit verstreute Gemeinschaft der Superreichen mag zuletzt zwar 20 Prozent ihres Vermögens eingebüßt haben, kann derlei aber immer noch immer aus der Portokasse berappen. Dazu kommen länderspezifische Steuerregelungen, die zum Ankauf von Kunst auf höchstem Niveau motivieren. In den USA und Kanada darf man Kunstwerke sogar von der Einkommenssteuer absetzen, wenn man sie als Dauerleihgabe einem Museum überantwortet.

Anonymität bevorzugt

Auch profitiert die Branche vom Potenzial der neuen Märkte und deren prognostiziertem Wachstum. Ein 200-Millionen-Dollar-Bild ist in den nächsten Jahren deshalb realistisch. Dafür bräuchte es bloß hochwertige Kandidaten, denn die infrage kommenden Käufer sind Christie's und Sotheby's bekannt. Aber ein gutgehütetes Geheimnis. In der Regel bevorzugen solche Kunst-Junkies, die derart viel in ihre Leidenschaft zu investieren bereit sind, die Anonymität. Wobei "investieren" vermutlich der falsche Terminus ist: Ein "return on investment" ist in dieser Liga kaum möglich. Meist sind solche Rekordwerke Millionengräber. Sie sollen die Psyche der Sammler berauschen, nicht deren Kontostand. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD/Printausgabe, 22./23./24.05.2010)