"Zum Abschied gab es nicht einmal einen Händedruck": Mit 52 hat Friedrich Prattes seinen Job verloren - und danach ein kleines Wunder geschafft. Heute stapft er mit seinen Gummistiefeln zum Arbeiten auf die Gemeinde.

Foto: Heribert CORN

"Als alter Mann bist am Arbeitsmarkt nix wert": Günther Gigerl hat verloren, was ....

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.... Stefan Thürschweller schaffen will. Die Krise lässt der Unternehmer als Ausrede für Pleiten nicht gelten.

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Wien - Die letzten Arbeitstage gaben Günther Gigerl einen bitteren Vorgeschmack. Kollegen ließen ihn links liegen, vom Chef kamen keine Aufträge mehr. Als das eigene Büro dann geräumt war, setzte der "Horror" so richtig ein. "Du stehst am Morgen auf und weißt nicht, was du tun sollst", sagt Gigerl: "Das Gefühl, nichts zu leisten, ist das Schlimmste."

Viel zu viel Zeit verbringt der 50-Jährige nun auf seinen 30 Quadratmetern am Hauptplatz von Eibiswald. Ordentlich, wie es sich für einen Buchhalter geziemt, sieht es in der Zweizimmerwohnung aus, aber auch etwas karg. An der Wand ein mit Ordnern und Wäsche spärlich gefülltes Regal, überm Bett eine barbusige Schönheit im Romantikstyle, Fotos künden von besseren Zeiten. Sie zeigen Gigerl, noch vor seinem Herzinfarkt, mit Lederhose und Tuba, und immer wieder seine zwei "Dirndln" aus zerbrochener Ehe.

Das Unheil, das Gigerl vor einem Jahr, als ihn der Standard erstmals besuchte, nur erahnte, hat ihn eingeholt. Vom insolventen Holzwerk Leitinger nach 28 Dienstjahren ausgespuckt, hat der 50-Jährige die ersten Monate ohne Job hinter sich. Die Lage in der hart getroffenen Weststeiermark gibt ihm, als "alten Ludl", wenig Hoffnung auf ein Comeback. Mit elf Prozent zu Jahresbeginn liegt die Arbeitslosigkeit weit über dem Durchschnitt - und dennoch keimt rund um Eibiswald auch Optimismus. Während sich Gigerl in die "Schublade der Unvermittelbaren" gesteckt fühlt, ist die Zahl der angebotenen Stellen endlich wieder gestiegen. In geräumten Büros und verwaisten Produktionshallen wächst neues Leben.

"So hart es klingt: Man kann gezielt auswählen", sagt Stefan Thürschweller. 180 Bewerbungen hat der Besitzer einer Installationsfirma in Eibiswald bekommen, ohne überhaupt eine Stellenanzeige zu schalten. Dabei steht in seinem frisch gegründeten Betrieb noch keine einzige Maschine.

Um zwei Millionen haben Thürschweller und drei Kompagnons das 6,7 Hektar große Leitinger-Areal im nahen Wernersdorf gekauft, um einen "Eco-Park" aufzuziehen. Ein Drittel ist bereits weitervermietet, etwa an den Fußbodenproduzenten Feelwood, der mit 20 Mitarbeitern den Rest des alten Holzimperiums verteidigt. Als Herzstück baut der hemdsärmelige Unternehmer mit zwei Partnern aber ein Werk für Fotovoltaik-Anlagen auf. Im Dezember soll die Produktion der Solarmodule anlaufen, mittelfristig sind 50 bis 60 Jobs geplant. Die Pioniere schätzen die niedrigen Lohnkosten; die langen Transportwege fielen bei einem so hochwertigen Produkt nicht ins Gewicht.

Reinigendes Krisengewitter

Dass die Banken trotz vielbeschworener Kreditklemme Geld für die Sieben-Millionen-Investition lockermachten, bestärkt Thürschweller nicht nur im Glauben an sein Projekt. Die Krise akzeptiert er nicht als Ausrede für Pleiten, sondern sieht in ihr eher ein reinigendes Gewitter, das altmodische Betriebe hinwegfege, die nicht flexibel seien und Innovationen verschliefen. Gerade in den Wernersdorfer Hallen, wo nur mehr Sägespäne am Boden von der Betriebsamkeit vergangener Tage zeugen, könne man sehen, wohin patriachalischer Führungsstil statt moderner Unternehmenspolitik führe, meint Thürschweller: "Es gab hier nicht einmal eine Heizkostenrechnung."

Von "Umstrukturierungen" hat Anna Sackl oft gehört, bis sie im Vorjahr den Abbau von 125 Kollegen zu beklagen hatte, weil der Magnethersteller Kendrion Binder in Eibiswald seine Industrie-Business-Unit stilllegte. Heiß ging es her, als die Betriebsrätin auch noch einen Anschlag auf die Gehälter verbliebener Arbeitnehmer witterte. Das "Lohndumping" entpuppte sich am Ende als faire, befristete und durchaus populäre Teilzeitregelung, räumt Sackl heute ein.

Das Gespräch ist keine fünf Minuten alt, da läutet das Telefon. Der Chefetage passt nicht, dass Sackl ohne Aufsicht mit Journalisten spricht. Als die Betriebsrätin nicht pariert, klopft es an der Tür. Herein platzt ein Mann in Nadelstreif, der sich mit schwäbischem Akzent als Bernd Gundelsweiler, Geschäftsführer in der deutschen Kendrion-Zentrale, vorstellt und sich forsch dagegen verwehrt, in der Vergangenheit zu wühlen.

Gestorbene steirische Tochter

Was der Manager sagte, kann der Standard nicht wiedergeben. Gundelsweiler verweigerte die vereinbarte Autorisierung seiner Aussagen, weil ihm das "von uns beschriebene positive Bild mit hohem Zukunftspotenzial" zu kurz gekommen schien. Überdies verlangte der Geschäftsführer das Recht, vor Drucklegung über die Freigabe sämtlicher Passagen, die Kendrion betreffen, zu entscheiden - eine Bedingung, auf die der Standard im Sinne unabhängiger Berichterstattung nicht einging.

Eine österreichische Tochter müsse sterben, damit die deutsche Mutter überlebe: Diese These für den Stellenabbau kursiert in der Belegschaft. Kendrion hat stets widersprochen und auf die eingebrochene Nachfrage verwiesen. Was die 132 Jobs in der in Eibiswald verbliebenen Geschäftssparte "Passenger Car Systems" betrifft, ist aber auch die Betriebsrätin optimistisch, "viel zu tun haben wir ja". Und Gott sei Dank gäbe es nur ein Handvoll Zeitarbeiter, sagt Sackl, "denn Zeitarbeit ist für mich moderne Sklaverei".

Selbst die Krisenopfer sind nicht alle aufs Stempeln angewiesen. Mehr als die Hälfte der Arbeiterinnen und fast alle Angestellten hätten Alternativen gefunden, manche dank des ausgehandelten Sozialplans in einer Arbeitsstiftung zwecks Weiterbildung, andere ums Eck bei der Firma WISP, an die Kendrion die Produktion der Magnetspulen "ausgesourct" hat. Viele der 32 Bediensteten machen das Gleiche wie für ihr einstiges Stammunternehmen - mit dem Unterschied, dass nicht mehr Kendrion, sondern der Neo-Betrieb das Risiko eines Auftragseinbruches trägt.

50 Jahre wertlose Erfahrung

Für grobe Männerfinger ist diese Feinarbeit nicht geeignet, die Holzveteranen aus Wernersdorf können sich Bewerbungen wohl sparen. Der gestrandete Buchhalter Gigerl durfte bei einer der Leitinger-Nachfolgefirmen noch ein Intermezzo hinlegen, jetzt durchforstet er wieder die Stellenanzeigen. Angebote gäbe es in Graz, "doch die Fahrtkosten fressen alles auf, wenn du beim Gehalt wieder ganz unten anfängst".

"Als alter Mann bist nix wert", sagt Gigerl und macht sich auf eine lange Durststrecke gefasst. Am Arbeitsamt hat er mitleidige Blicke geerntet: "Kommen S' in zwei Monaten wieder."

Doch manchmal geschehen kleine Wunder. Auch Friedrich Prattes flog beim Holzwerk raus, auch ihn könnte man für älter halten als seine 52 Jahre. Der Ex-Betriebsrat kämpfte sich durch einen AMS-Kurs für Bewerbungsschreiben, zwang sich, "den Kopf nicht hängen zu lassen". Heute repariert er für die 300-Seelen-Gemeinde Garanas Straßen und räumt Schnee. Prattes verdient nun zwar weniger, und das geliebte Holz hat er nur mehr als Wald vor der Haustür. Doch letztlich haben ihm seine alten Chefs, die Leitingers, den Abschied leichter gemacht: "Nach 29 Jahren habe ich nicht einmal einen Händedruck bekommen." (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2010)