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"ich, das sind die anderen", überschreibt Nicolas Mahler das erste Kapitel seines jüngsten autobiografischen Episodenwerks, das den reizvollen Titel Pornografie und Selbstmord trägt. Die anderen, das sind überspannte Schauspielschüler, deren philosophische Erörterungen über die Traurigkeit nach dem Koitus unüberhörbar vom Nebentisch erschallen. Oder orientierungslose Touristen in der U-Bahn, die mit einem Stationencountdown-Mantra den Autor vollends verwirren. Oder ein Mann in einem Ganzkörper-Frottee-Outfit an einer Kreuzung in Paris; seltsame Passagiere, neben denen man im Flugzeug zu sitzen kommt; oder eben jener titelgebende Student der Kulturwissenschaften, der seine Doktorarbeit über Pornografie verfasst, weil sein vorgeschlagenes Thema über Selbstmord auf der Uni nicht angenommen wurde.

Mittendrin, wenn auch möglichst unbeteiligt und meist mit einem gewissen Widerwillen behaftet: ein dürres, langes Strichmännchen, das sich nur durch eine Nase, auf der eine Brille sitzt, von einem Streichholz unterscheidet und sämtliche anderen krakelig-unförmigen Figuren überragt - die Selbstdarstellung des Wiener Zeichners und Autors. Auszüge aus seinem mehr als 30 Bücher und Büchlein umfassenden Werk kann man von 3. bis 6. Juni beim Internationalen Comic-Salon in Erlangen sehen - der größten deutschsprachigen Messe für grafische Literatur -, wo ihm eine Ausstellung gewidmet ist.

Nach Kunsttheorie versus Frau Goldgruber und Die Zumutungen der Moderne schöpft Nicolas Mahler in Pornografie und Selbstmord, seinem dritten Band aus gesammelten Kurzdramoletten, abermals aus "den anderen" , seinen persönlichen Beobachtungen, aus den scheinbar nebensächlichen Begebenheiten und Widrigkeiten, die offenbar an jeder Ecke lauern können. Wie ein Archäologe, der zufällig auf einen Scherben stößt, legt Mahler wie beiläufig unfreiwillig Komisches und anderweitig Abstruses frei.

Köstlichen Stoff liefert ihm dabei der berufsbedingte Kontakt zu weltfremden Comic-Zeichnern und -Wissenschaftern, pubertierenden Fans und geplagten Kulturattachés. Bezeichnend skurril ist auch die Serie "Wege zum Ruhm" , in der Mahler in gewohnt minimalistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen trocken die Odyssee durch die Bürokratie des Kulturministeriums schildert, das ihm schließlich einen Förderpreis für Comics verleiht, ohne dass es die Juroren für notwendig erachten, einen Blick in seine Bücher zu werfen.

Dabei macht sich Mahler in seinen Geschichten nicht die Mühe, irgendeine Botschaft zu vermitteln - übrig bleibt nur ein subtiler Nachgeschmack von Verbitterung über die Fragwürdigkeiten der Welt, gegen die es sich nicht sonderlich aufzulehnen lohnt.

Wenig Widerstand leistet auch der Protagonist in Mahlers zweitem neuen Buch namens Engelmann. Der gefallene Engel. Diesmal in satten Farben koloriert, erzählt Mahler die wahnwitzige Geschichte eines auf allen Ebenen kläglich scheiternden Superhelden. Auf mehreren Ebenen arbeitet auch das Buch selbst: Aufgemacht wie der erste Teil einer der typischen Comic-Heft-Serien dokumentiert es das Privatleben des wenig rühmlichen Engelmann, der gleichzeitig die Hauptfigur in einer Serie des Verlags "Konzern Publishing" ist.

Der knollenförmige, rosa Tropf mit Flügel und einem "e" auf der Brust wurde zwecks Erweiterung der Leserschaft vom Story-Department mit weichen Superkräften wie Empfindsamkeit, Ambivalenz und Gut-zuhören-Können sowie einer Tarn-identität als Redakteurin bei einer Frauenzeitschrift ausgestattet - ein totaler Fehlschlag. Egal, wie sehr sich der Konzern in der Folge dabei überschlägt, Engelmanns Charakter neu zu branden, er kommt einfach nicht an beim Publikum. Ist mit seinem sprunghaften Image immer einige Nasenlängen hinter dem Trend.

Es folgen eine schwere Persönlichkeitsstörung, eine billige Verfilmung, schließlich ein Rechtsstreit samt Steuernachzahlung und die Einstellung der Comic-Serie, was den sensiblen Teetrinker Engelmann endgültig in die Tablettensucht und Paranoia treibt. Gespickt ist das Ganze mit Kommentaren von Mitleidenden wie dem Wart der Superhelden-Kantine, mit betont wichtigtuerischen Fußnoten und Bonusmaterial am Ende.

Mit der unprätentiös sachlichen Darstellung dieser erbarmungswürdigen Existenz zerpflückt Mahler das Superheldengenre genauso wie die Unterhaltungsindustrie - dass das Buch ausgerechnet beim Comic-Platzhirsch Carlsen erscheint, erinnert an die Simpsons, die sich gern über den TV-Sender Fox, bei dem sie ausgestrahlt werden, lustig machen.

Dass er auf sehr komische Art Mythen und Helden zu Allerweltslosern dekonstruieren kann, hat Mahler schon in vergangenen Werken, etwa zu Autorennfahrern, Vampiren und Westernhelden, bewiesen - die nunmehrige Superheldenparodie hat ihm (wieder einmal) eine Nominierung für den Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic eingebracht. Unter den Nominierten ist auch die Österreicherin Ulli Lust mit Heute ist der letzte Tag meines Lebens, insgesamt präsentiert sich heuer ein Dutzend heimischer Comic-Künstler und -Künstlerinnen bei dem Festival in Erlangen. Für Mahler jedenfalls wieder eine gute Gelegenheit zum Beobachten und Belauschen. (Karin Krichmayr, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.05.2010)