Wien - Einer der letzten kakanischen Momente des kurzen 20. Jahrhunderts ist in dem Dokumentarfilm Veillées d'armes - The Troubles We've Seen von Marcel Ophüls aufbewahrt. Auf dem Balkan herrscht 1993 ein Krieg, zu dem Österreich und Deutschland nicht unwesentlich beigetragen haben. Der Regisseur hat sich auf dem Weg nach Sarajevo in Wien im Hotel Bristol eingemietet. Eine Dame, die er sich auf das Zimmer bestellt hat, räkelt sich unbekleidet auf dem Bett.

Ophüls kam aus Paris, die Zwischenstation nützt er auch zu einer kleinen Geschichtsstunde. Von Mayerling bis Sarajewo, den sein Vater Max Ophüls 1939 gedreht hatte, aber dann wegen der Judengesetze nicht mehr herausbringen konnte, dient ihm dabei als Anschauungsmaterial. In der Kombination dieser Details ist fast alles erkennbar, was den Filmemacher Marcel Ophüls ausmacht: ein Sinn für das Historische, der sich auch auf Fiktionen erstreckt, die sich Menschen davon machen; eine Bereitschaft zur anstößigen Selbstinszenierung; ein bohrendes Interesse, Mythen der Nachkriegsordnung zu hinterfragen.

1927 in Frankfurt/Main als Sohn von Max Ophüls geboren, wurde Marcel so etwas wie der zärtliche Revisionist seines Vaters. In zwei Generationen einer europäischen Familie ist damit fast das ganze Kino enthalten - Inszenierung und Opulenz, Fragilität und Traum beim Vater, Realismus und Penetranz, Virilität und Analyse beim Sohn. Das Filmmuseum hat diese beiden Positionen in einen Zusammenhang gebracht, nun geht diese Schau mit Marcel Ophüls in die Zielgerade.

Komplexe Verkettungen

Veillées d'armes - The Troubles We've Seen ist sein bisher letzter Film geblieben. Es ist, als wäre diese Beobachtung unter Kriegskorrespondenten im belagerten Sarajevo 1993 ein Abgesang auf die Methoden, mit denen sich Ophüls einen Namen gemacht hat. Was er in Sarajevo findet, ist eben auch einer der letzten Momente der komplizierten Verkettungen, die das 20. Jahrhundert um den Erdball legte - hier kam es noch einmal zur Explosion nationalistischer Mythen, auf die es Ophüls immer abgesehen hatte.

Seine wohl folgenreichste Arbeit ist Le Chagrin et la pitié (1969), eine schonungslose Dekonstruktion der französischen Nachkriegsidentität, die einseitig auf das Bild einer Nation im Widerstand gebaut worden war. Schon hier war ein episches Format von vier Stunden erforderlich, mit dem Ophüls seinen Gegnern auch zahlreiche Angriffsflächen bot. Denn es bedarf eines unvoreingenommenen Blicks, um bei den Unmengen an Material nicht sofort ins Aufrechnen zu kommen.

Im Falle von Hotel Terminus - The Life and Times of Klaus Barbie (1988) geht es eben nicht nur um den NS-Kriegsverbrecher, um den "Schlächter von Lyon" , sondern auch um den kontroversen Anwalt Vergés, der sich für den deutschen Verbrecher verwendet, weil er damit das koloniale Frankreich treffen möchte. In allen diesen Filmen tritt Ophüls immer wieder selbst ins Bild, als Fragensteller und als Charmeur, selten als Vertreter einer Objektivität, wie man sie von Dokumentarfilmen vielleicht erwarten würde.

In Memory of Justice hat Ophüls sein Prinzip an den Rand des Scheiterns getrieben: Mehrere Geldgeber waren in ein Projekt involviert, in dem eine Rückschau auf die Nürnberger Prozesse mit Stellungnahmen zu Vietnam und anderen Dingen zusammengebracht wurden. Der Begriff der Gerechtigkeit erweist sich als vielfach gebrochen, und so waren auch die Reaktionen auf einen Film, bei dem sich etwa eine Diskussion an der "Saunaszene" festmachte, mit der Ophüls zeigen wollte, dass im Deutschland der 70er kaum an die Kriegsverbrecher gedacht wurde, die unbehelligt leben und arbeiten konnten.

Die Kombination von Bedeutendem und Beiläufigem scheint vielen Menschen eine anstößige Form für die Themen zu sein, die Marcel Ophüls sich zu eigen gemacht hat. Dabei trifft er so erst die Struktur des Historischen in seiner Gegenwärtigkeit. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.05.2010)