Wien - Die Musikrichtung des "Turbo Folk" ist sowohl für die Serben als auch für deren kroatisches Brudervolk eine kulturelle Hartwährung. Zunächst bloß als randständiges Phänomen wahrgenommen, machte sich der Turbo Folk erfolgreich auf Partybooten und in Festtagszelten breit.

Heute ist die balkanische Abart der Ballermann-Disco erfolgreich im Mainstream angekommen. Die sentimentalen Texte verbreiten das Schmalz der frommen Denkungsart. Illustrierte der Turbo Folk in den 1990ern die überzogenen Geltungsansprüche einer mafiösen Neureichenkultur, würde seine deutlich abgespeckte Light-Version heute nicht einmal mehr die Gefolgschaft von Florian Silbereisen verschrecken.

Die Performance Turbo Folk des kroatischen Regie-Tausendsassas Oliver Frljic, stilecht verpackt in das Programm des forums festwochen ff, kitzelt nun aus dem Kommerz die schädlichen Gewaltreste heraus: Lieder, denen das abgestandene Gesinnungsfett aus jeder Zeile trieft, werden in die Pfanne gehauen. Alles muss köcheln und sieden in dieser doch arg redundanten Schauspiel-Revue aus Rijeka, die in fünf Viertelstunden so tut, als könne sie das Wiener Schauspielhaus in Brand stecken.

Gewalt ist die Signatur einer Gesellschaft, die ein Leben in Frieden verlernt hat. Gegeben wird daher kein Stück, sondern bloß ein Potpourri "improvisierter" Sketches, die vom Gesang der kroatischen Sirenen (im homerischen Sinne) eingeebnet werden.

"Setze dich und küsse die Beste", "Was willst du heute Nacht draußen?": Immer sind es Damen, die ihre Männer - allesamt kriegerische Solitäre der Gattung einsamer Wolf - zum Bleiben auffordern. Sie locken ihre müden Krieger einerseits mit soliden Hausfrauenqualitäten und Treueangeboten. Andererseits muss ein Mann eben tun, was ein Mann tun muss, und sei es auch morden und brandschatzen.

Allerlei Gewaltformen

Frljics Illustrationsübungen für neun SchauspielerInnen in legerer Freizeitkleidung lassen keinen Zweifel an der bellizistischen Perspektive der angeblich betörenden Kommerzgesänge: Gewalt dominiert nicht nur das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Turbo Folk schmeichelt den Herrschenden, indem er die Frustrationsventile für unverbesserliche Schläger öffnet.

Wollte man nun aber über die Theatersubstanz des Abends Turbo Folk sprechen, man käme rasch ans Ende: Volk schlägt sich, Volk verträgt sich. Quälmeister zwingen ihre Mitbürger mit gezückten Pistolen zu entwürdigendem Drill. Helden des Krieges liegen mit zerschossenen Gemächten in ihren Krankenhausbetten, während Pflegerinnen der verunstalteten Manneszier kühlende Luft zupusten. Säuglinge werden, kaum dass sie das Licht des Balkans erblickt haben, mit "weißer Milch und rotem Wein" gesäugt.

Nur böse Menschen aber haben keine Lieder. Und das Schlimmste ist: Der Abend lässt einen kalt. (Ronald Pohl, Der Standard, Printausgabe, 7.6.2010)