"Krass" , 1971/73, Öl auf Leinwand, © A. Rainer.

Foto: R. Zahornicky

München - Jetzt ist er wohl endgültig im Olymp angekommen. Denn in fast olympischem Abstand, sprich: alle vier Jahre, lädt sich die Alte Pinakothek zu München, das Sammlungshaus alter und älterer Kunst, einen namhaften lebenden Künstler ein. Im Jahr 2006 wurde mit Cy Twombly und seinen zartweißen, klaren und doch in ihrer Einfachheit verwirrenden Skulpturen der Anfang gemacht.

Und Einfachheit und Verwirrung strahlen auch die Arbeiten Arnulf Rainers aus. Seine Hommage mit 120 Arbeiten, die zum größten Teil aus Rainers Atelier stammen, stilecht wie recht ironisch durch das vor kurzem wieder hergestellte Klenze-Portal zu betreten, will die Kuratorin Corinna Thierolf nicht als umfassende Retrospektive verstanden wissen. Im letzten Dezember wurde der gebürtige Badener 80 Jahre alt, ein ihm gewidmetes Museum wurde in seinem Geburtsort eröffnet. Seit 2002 gibt es in der Münchner Pinakothek der Moderne einen eigenen Arnulf-Rainer-Saal.

Kunst über Kunst, Kunst aus Kunst, Kunst gegen Kunst, Kunst ohne Kunst. Dafür mit Vehemenz, radikal exzessivem Körpereinsatz, Leidenschaft und Passion. Und wundersamerweise auch Ruhe und Meditation ausstrahlend - all das lässt sich in der klug und konzentriert gehängten Schau in Augenschein nehmen. Monochromes Dunkel, Verschwinden, überlagernde Schwärze. Und wie im ersten Saal nur gelegentlich etwas Rot. Wie beim abstrakten US-Maler Ad Reinhardt führt Rainers Schwarz hinab in tiefere Schichten. Nicht nur des Bildes. Sondern auch des Sujets, der übermalten Vorlage. Beinahe schon Studien eines Suchers im metaphysischen Stollen sind sie. Und so heißt auch gleich im zweiten Saal, flankiert von Kabinetten mit drei Körperübermalungen und drei Riesenporträts voller Schmerz und Clownerie, eine Serie mit lasierten farbigen Schleierbildern aus den 1990er-Jahren "Geologica". Was keineswegs zufällig das Bohrende, Erforschende, Glühende seines Impetus betont.

Überraschend selbst für Kenner des Werkes des immens produktiven Rainer sind dann die vielen grafischen Arbeiten aus vier Jahrzehnten, von den frühen zarten Zeichnungen der 1950er-Jahre, teils minimalistisch, teils wie die Blindzeichungen sich experimentellen Reihen verdankend, über die Studien zu Horizontale und Vertikale bis zu sehr selten ausgestellten Formfindungsserien und dem beklemmenden Hiroshima-Zyklus von 1982.

Die größte Surprise hält allerdings das fast intim geratene Schlusskabinett bereit: eine ganz neue Serie, abgeschlossen im Jänner dieses Jahres, und eine ganz neue, unerwartete Wendung in seinem Werk. Denn hier ist er sehr bunt. Und doch sehr zurückhaltend. Voller Zärtlichkeit für die aus Gemälden Cranachs, Giorgiones, Rubens', Rembrandts und Bouchers in der Alten Pinakothek destillierten Porträts: ein Spiel mit Betrachter und Betrachtetem voller Respekt für die malerische Tradition.

Der Übermaler ordnet sich auf Augenhöhe ein, der ausholende Berserker wird zum grazilen Verehrer des Kleinen. So kurzweilig erhellend ist selten eine Promenade durch ein Werk geraten. (Alexander Kluy, DER STANDARD/Printausgabe, 08.06.2010)