Es mag überraschend klingen, aber die größte Gefahr für die Stabilität des Euro geht nicht von Griechenland, Spanien und auch nicht vom Nichtmitglied Ungarn aus, sondern von den sparwütigen Deutschen.

Grundsätzlich sind die Bemühungen der Regierung Merkel, das ausufernde Budgetdefizit wieder in den Griff zu bekommen, lobenswert. Auch die Maßnahmen, mit denen in den nächsten vier Jahren 80 Milliarden Euro eingespart werden sollen, klingen vernünftig: gezielte Einschnitte bei den Sozialausgaben, keine Kürzung der Forschungsausgaben und Steuererhöhungen, die vor allem den klimaschädlichen Flugverkehr, die Banken und die Atomkraftindustrie betreffen. Insgesamt dürfte der Musterschüler Deutschland damit die fiskalen Exzesse der jüngsten Krisenbewältigung schneller als andere EU-Staaten überwinden.

Und genau das ist das Problem. Denn der strikte Sparkurs der schwarz-gelben Koalition wird auch dazu führen, dass die deutschen Bürger in den kommenden Jahren den Gürtel enger schnallen werden. Da die Industrie aber gleichzeitig mit aller Kraft ihr Exportvolumen halten will, werden sich die jährlichen Leistungsbilanzüberschüsse der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt weiter vergrößern. Und diese sind Gift für die Eurozone und die Weltwirtschaft.

Ohne die deutschen Exportüberschüsse könnten die europäischen Defizitländer nicht Jahr für Jahr mehr konsumieren, als sie produzieren. Aber ohne deren Defizite gäbe es auch kein deutsches Exportwunder. Auch die hohe private und staatliche Verschuldung in anderen EU-Ländern wäre nicht möglich, wenn deutsche Bürger und Unternehmen nicht seit Jahrzehnten Ersparnisse anhäufen würden, die sie dann letztlich nur in den Defizitländern anlegen können.

Die deutsche Neigung zum Fleiß und zum Selbstverzicht schafft genau jene globalen Ungleichgewichte, die zuerst das internationale Finanzsystem und dann die europäische Gemeinschaftswährung ins Wanken gebracht haben. Diese Botschaft wird seit Jahren von führenden Ökonomen getrommelt und immer öfter auch von Deutschlands Handelspartnern, zuletzt etwa beim G-20-Planungstreffen in Südkorea. Doch die Deutschen - genauso wie Chinesen und Japaner, die auch einem merkantilistischen Denken verhaftet sind - wollen es nicht hören. Ihre Angst vor "griechischen Verhältnissen" führt dazu, dass sie genau diese Verhältnisse hervorrufen. Niemand kann sie zu einer Kehrtwende zwingen. Aber die Rechnung für die Krise zahlen die Deutschen selbst: Sie sehen den Wert ihrer Finanzanlagen schwinden und müssen am Ende für die Schulden anderer bürgen.

Wenn schon der deutsche Staat spart, sollten die Bürger mehr ausgeben. Aber auch das ist nicht in Sicht, denn die Deutschen werden von besonders vielen Zukunftsängsten geplagt, und die Exportindustrie zittert in jeder Lohnrunde um ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Übrigens fährt auch Österreich seit einem Jahrzehnt mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen einen ähnlichen Kurs, doch fällt das international weniger ins Gewicht.

Der neue Geist der Zusammenarbeit in Europa muss auch die Budget- und Wirtschaftspolitik der Überschussländer einschließen. Tut er es nicht, dann können Griechen und Spanier noch so viel sparen: Die nächste Krise kommt dann bestimmt. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2010)