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Helena (Birgit Minichmayr) in griechisch-ägyptischer Gefangenschaft, der sie mit Glück, Brutalität und Mann entkommt.

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Foto: APA

Im Vorfeld sprach Birgit Minichmayr mit Margarete Affenzeller.

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Standard: Peter Handke betont in seiner Übersetzung aus dem Altgriechischen den Aberwitz an der Geschichte: Der Trojanische Krieg wird aufgrund eines Phantombildes der schönen Helena begonnen. Ist das nicht eine Komödie?

Minichmayr: Absolut. Meist beginnen Dramen ja im Licht und führen hinein ins Dunkel. Hier ist es umgekehrt. Es geht vom Tragischen ins Triviale, ins Groteske. Handkes Helena liegt zwischen Küche und Götterwelt, das macht sie einmalig. Ich hoffe, dass uns dieser Spagat gelingt. Am Anfang steht der Schmerz, als sie erfährt, dass ihr Mann ihretwegen einen Krieg gegen Troja losgebrochen hat, dass sich ihre Mutter erdrosselt hat, ihre Brüder angeblich gegenseitig geschlachtet haben. Und das alles nur wegen dem Eidolon, dem Trugbild! Manchmal denke ich, dass es sich um ein Woody-Allen-Stück handelt, auch vom Psychologischen her. Euripides war ein großer Frauenpsychologe.

Standard: Es geht um die zerstörerische Macht des Begehrens?

Minichmayr: Ja, als Ausgangspunkt. Im zweiten Teil kommt man dann eher zu den ganz normalen Eheproblemen: ,Was hast du gemacht in den letzten 17 Jahren? Bist du mir treu geblieben?‘ Und dann die abenteuerliche Flucht von der Insel. Das Absurde ist: Helena beweint das viele Blut, das für sie bzw. ihr Phantom vergossen worden ist, zugleich aber sind ihre Schlachtrufe dann die grausamsten. Sehr ambivalent, diese Frau! Dahinter steckt auch ziemlich viel Selbstmitleid. Die Aufmerksamkeit war ihr ja dennoch nicht so unrecht.

Standard: Antike Dramen stecken voller Gefühlssuperlative ...

Minichmayr: Ja, die Stimmungsimperialisten ...!

Standard: Genau. Viele Schauspieler trauen dem heute nicht mehr über den Weg. Sie schon.

Minichmayr: Es stimmt natürlich, dass es da eine Veränderung gab. Es ist nicht mehr schick, das authentische Gefühl zuzulassen bzw. das echte Gefühl im unechten. Es ist eher die Tendenz zum Performen da.

Standard: In Handkes Übersetzung sind, um der Emotion auf die Beine zu helfen, Sätze implementiert wie z. B.: "Was für Töne sollen herausbrechen aus mir?" Eine sehr zeitgenössische Form, nicht?

Minichmayr: So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber es stimmt, es gibt Sätze, die sind Vorbereitungen auf ein Gefühl bzw. reflektierend: Wie reagiere ich adäquat auf die schmerzvolle Information, die ich soeben erhalten habe?

Standard: Welche "Weisheiten" von der Schauspielschule haben Ihnen am meisten geholfen?

Minichmayr: Wichtig für mich waren die frühen Praxiserfahrungen "draußen" . Klaus Maria Brandauer hat uns schon im zweiten Jahr mit nach Altaussee genommen. Und ich danke ihm, dass er mir den direkten Ton beigebracht hat.

Standard: Was ist der direkte Ton?

Minichmayr: Dass man das auch meint, was man sagt. In all seiner Komplexität. Ich bin da sehr empfindlich, wenn die Haltung zum Gesprochenen fehlt und das Spiel zur Attitüde verkommt. Das bleibt dann ein Sprechgesang.

Standard: Der Körper einer Schauspielerin ist immer auch sexuell konnotiert. Nervt Sie das manchmal?

Minichmayr: Im Theater hat man es mehr in der Hand als im Film. Es hängt auch von den Regisseuren ab. Generell nervt mich manchmal schon der Schönheitsdruck auf Frauen. Das sind doch oftmals nur Projektionen - die der Gesellschaft oder des Mannes.

Standard: Das Theater ist nun aber von Männern dominiert.

Minichmayr: Aber ich bin ja keine Sklavin. Wenn ich etwas nicht möchte, kann ich das diskutieren; ich muss nicht dauernd in Unterwäsche herumlaufen. Bei Helena ist die große Frage: Was könnte da die Erotik sein? Sicher keine schwache! Ich habe nichts dagegen, wenn Frauen auf der Bühne sexy sind. Manchmal ist es ja auch reizvoll, so etwas zu spielen.

Standard: Man legt auf der Bühne den "zivilen Körper" (Valère Novarina) ab?

Minichmayr: Man hat acht Wochen Zeit, sich den Körper zu erarbeiten. Und die hängenden Schultern der Marianne (aus "Geschichten aus dem Wiener Wald" , Anm.) wird Helena nicht haben! Aber es gibt auch Schauspieler, die mit ihrem zivilen Körper auf die Bühne gehen, und das ist nicht immer schlecht. Das muss kein Qualitätsverlust sein. Sepp Bierbichler ist so einer. Er ist zu seiner Einmaligkeit durchgedrungen. Dazu braucht es ein starkes Ich. Und davon lebt das Theater.

Standard: Sie waren dreieinhalb Jahre an der Volksbühne. Was haben Sie aus Berlin mitgenommen?

Minichmayr: Vor allem habe ich die Stadt mitgenommen. Es war aber auch die Theaterarbeit sehr prägend, z. B. die erste Arbeit mit René Pollesch oder Frank Castorf. Am meisten hat mir aber gefallen, dass die Schauspieler dort so autonom wirken. Und ihre exzentrische Ausdrucksweise. Das hat total Spaß gemacht.

Standard: Warum sind Sie zurückgekommen?

Minichmayr: Das Ensemble hat sich zerschlagen. Ganz viele Leute sind weggegangen. Das war dann auch für mich eine Auflösung. Ich vermisse Berlin sehr. Wien ist eingeschlafen und gemütlich. Auch die Kunstsparten haben in Berlin viel mehr Austausch miteinander.

Standard: Haben Österreicher aufgrund ihres Idioms weniger Chancen am Reinhardt-Seminar?

Minichmayr: Das hat überhaupt nichts mit Sprache zu tun, sondern mit Talent und Willen. Da hätte ich bei der Aufnahmeprüfung überhaupt keine Chance gehabt. Ich war ja ein totales Dialektkind. Mir wird ja mittlerweile oft der Vorwurf gemacht, ich spreche zu deutsch, ich hätte mich zu sehr assimiliert. Aber hätte ich das nicht gemacht, hätte ich einen Film wie Alle anderen nicht drehen können. Sollen sie sich daran stoßen; mir ist es ehrlich gesagt wurscht. Am Anfang habe ich sicher sehr komisches Hochdeutsch gesprochen. Meine armen Freunde! Wenn ich zu Hause in Linz bin, rede ich sowieso wie früher. Aber ehrlich gesagt finde ich dieses Thema müßig.

Standard: Sie spielen ab diesem Sommer die Buhlschaft. Nicholas Ofczarek war Ihr Wunschkandidat. Haben Sie ihn besetzt?

Minichmayr: Ach Quatsch, ich hab ihn mir gewünscht. Besetzt war er schon vorher.

Standard: Dann gibt's nach "Helena" keine wirkliche Pause?

Minichmayr: Nein. Ich weiß auch nicht, was mir da wieder eingefallen ist. Anscheinend brauch ich's.

(DER STANDARD/Printausgabe, 09.06.2010)