Während Keilschrift tausende Jahre überdauert, haben digitale Artefakte ein immer kürzeres Ablaufdatum. Eine neue Technologie meißelt nun Daten in DVDs aus gesteinsähnlichem Material.

Illu.: Beigelbeck

"Die Ironie des Informationszeitalters ist, dass das Behalten von Information komplexer geworden ist, als es je war" , sagt Pat Manson, Leiterin der Abteilung Kulturelles Erbe der Europäischen Kommission. Sind in Tontafeln gemeißelte Keilschriften über tausende Jahre erhalten geblieben, überdauern Bücher immerhin noch mehrere Jahrhunderte - so sind rein digital gespeicherte Daten ausgesprochen kurzlebig. Ohne besondere Vorkehrung haben sie im Schnitt eine Lebensdauer von gerade fünf bis sieben Jahren.

Dateiformate werden immer vielfältiger und komplexer, Soft- und Hardware immer rascher obsolet. Immer häufiger ist man damit konfrontiert, etwa ein in einer anderen Version abgespeichertes Word-File nicht mehr öffnen zu können, gar nicht zu sprechen von Websites, die nach kurzer Zeit in den Weiten des digitalen Universums verschwunden sind.

Damit das digitale Erbe nicht verpufft und auch in entfernterer Zukunft noch entschlüsselt werden kann, arbeiten Informatiker und Archivare an Technologien zur digitalen Langzeitarchivierung. Und greifen dabei auch auf altbewährte Kulturtechniken zurück, wie die kürzlich vorgestellte M-Disc des US-Softwareherstellers Millenniata zeigt: Es handelt sich dabei um eine DVD, die aus einem gesteinsähnlichen Material besteht. In einem speziellen Laufwerk meißelt ein Laser förmlich die digitalen Informationen in die Scheibe ein. Die DVD, die nicht mehr überschrieben oder gelöscht werden kann, soll im Gegensatz zu herkömmlichen DVDs, deren organische Farbstoffe sehr empfindlich sind, bis zu tausend Jahre haltbar sein und auf jedem DVD-Laufwerk gelesen werden können.

Digitaler Gedächtnisverlust

Neben der Frage nach geeigneten Speichermedien geht es vor allem darum, die exponentiell wachsende Produktion von digitalen Daten in den Griff zu bekommen. "Bisher können meist nur Menschen entscheiden, welche Informationen es wert sind, sie langfristig zu speichern" , sagt Ross King, Leiter der Arbeitsgruppe Digital Memory Engineering am Austrian Institute of Technology AIT, die an der Entwicklung möglichst automatisierter Content-Management-Systemen arbeitet. Das Problem drängt: Laut der International Data Corporation verdoppelt sich das Datenaufkommen im digitalen Universum alle 18 Monate. 2011 könnten bereits geschätzte 1800 Exabyte (oder 1800 Milliarden Gigabyte) generiert werden. "Unsere konservative Schätzung ist, dass jährlich ein Verlust von drei Milliarden Euro durch verlorengegangene Daten entsteht" , erläutert King die Dimension des digitalen Gedächtnisverlustes.

"Das Bewusstsein dafür, dass Daten so gespeichert werden müssen, dass sie auch in Zukunft interpretierbar bleiben, ist zwar bei Archiven und Nationalbibliotheken vorhanden, bei Unternehmen und Privatpersonen aber erst sehr klein" , sagt Rainer Schmidt vom AIT. Im dem von der FFG geförderten Projekt Research Studio Digital Memory Engineering werden daher Methoden und Programme entwickelt, welche die Archivierung von Dokumenten gleich in die Arbeitsabläufe von Unternehmen integriert. "Es ist ein Unterschied, ob man Finanzdaten speichert oder komplexe Multimediadaten, die nur in einer bestimmten Umgebung abgespielt werden können" , erklärt Schmidt eine der Herausforderungen. Unter Federführung der TUWien wurde außerdem Hoppla (Home and Office Painless Persistent Longterm Archiving) entwickelt, ein Programm, das ähnlich einer Antivirus-Software ein vollautomatisiertes, nutzerfreundliches Update-Service bietet.

Risikoabschätzung

Schon in dem EU-Projekt Planets (Preservation and Longterm Access through Networked Services) entwickelte das AIT gemeinsam mit weiteren 15 Bibliotheken, Unis und Firmen aus sieben Ländern eine wissenschaftliche Methodik sowie Tools zur Langzeiterhaltung digitaler Daten. Die Planets-Software, die in einem Netzwerk auf verteilten Servern läuft und im Internet abgerufen werden kann, analysiert Daten hinsichtlich ihres Risikos verlorenzugehen, identifiziert die für eine Langzeitbewahrung wesentlichen Charakteristika und migriert bzw. verwandelt sie in ein geeignetes Format. Die soeben mit der EU-Kommission gegründete Forschungsinitiative "Open Planets Foundation" , an der auch das AIT beteiligt ist, widmet sich nun der Weiterentwicklung und Verwertung der Technologie.

Immer wichtiger werden auch persönliche Archive: Mittlerweile hat jeder Computer-User ein "digitales Leben" , das in E-Mails, Blogs, sozialen Netzwerken, Webfotoalben etc. gespeichert ist. Damit auch die Urenkel die heute archivierten Fotos ansehen können, bedarf es der Mitspeicherung von Informationen über die Daten sowie archivierungsfreundlicher Formate. "Offene Standards sind leichter wiederherstellbar als proprietäre" , betont Ross King. In der Datenflut aus unterschiedlichsten Formaten wird aber letztlich das Bewusstsein über die Fragilität digitaler Information darüber entscheiden, welches Wissen auch in Zukunft abrufbar sein wird. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 09.06.2010)