Wien - Die junge Nigerianerin war vor sechs Jahren als 14-Jährige nach Österreich gekommen - nachdem sie in Afrika von einem Freund ihres Vaters vergewaltigt worden war. In Wien wurde sie von einem Taxilenker adoptiert und begann Deutsch zu lernen.

Wovon sie die letzten Jahre gelebt habe, wird die junge Frau am Dienstag vom vorsitzenden Richter Norbert Gerstberger im Wiener Landesgericht gefragt. Ihr Adoptivvater habe sich um sie gekümmert, und sie habe kurz in einem Restaurant gearbeitet, sagt sie. Es gebe Hinweise, dass sie Geheimprostituierte gewesen sei, fragt Gerstberger nach. Die Angeklagte verneint. Ein Zeuge, der dies behauptet, habe ihr zwar einmal 100 Euro gegeben - aber "weil ich mir die Haare machen lassen wollte".

Um Liebesdinge ging es jedenfalls an jenem 10. November 2009. Wenn auch eher einseitig, wie die inzwischen 20-Jährige berichtet. Sie hatte einen 39-jährigen Nigerianer, der sich Collins nannte, zufällig in der U-Bahn kennengelernt. Ein Freund ihres Adoptivvaters, wie sich herausstellte. "Er wollte mein Liebhaber werden, aber ich bin ja mit einem Weißen zusammen", sagt sie. Und Collins habe ihr Angst gemacht, habe ihr erzählt, dass er in Nigeria schlimme Dinge gemacht habe.

Im November 2009 wurde Collins Asylantrag abgelehnt. Vor seiner Rückkehr nach Nigeria übernachtete er zur Überbrückung eine Nacht bei der Angeklagten, stellte bei ihr seine Sachen unter.

Am nächsten Morgen borgte - oder schenkte - Collins seiner Bekannten 100 Euro für die Miete und ging zu den Asylbehörden. Doch als er abends gemeinsam mit dem Adoptivvater wieder zur Wohnung der Frau kam, hatte sie Männerbesuch, lag mit ihrem weißen Freund im Bett. Collins sah die Frau im Bademantel und den Freund in Boxershorts am Bett und rastete aus. Er schrie, tobte und weigerte sich zu gehen.

Bis die damals 19-Jährige in der Küche zu einem Messer griff und laut Gutachten wahrscheinlich zustach. Der Mann erlitt einen lebensgefährdenden Bauchstich.

Der Fall wurde im Februar schon einmal verhandelt. Angeklagt war damals absichtliche schwere Körperverletzung. Doch die Richterin erklärte, es könne auch ein Mordversuch gewesen sein - also muss vor Geschworenen neu verhandelt werden.

Nur: Collins ist inzwischen wieder in Nigeria. Er hat nach der Ablehnung des Asylantrags ein "Rückkehrangebot" der Asylbehörden angenommen. Das dringende Fax von Richter Gerstberger, dass Collins als Zeuge benötigt werde, kam zu spät.

Das Urteil stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch aus. (Roman David-Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 9. Juni 2010)