Präsident Fischer bei seiner Ansprache vor den jüdischen Besuchern.

Foto: derStandard.at/Eder

Das Mitteilungsbedürfnis war groß, jeder hat seine schwere Geschichte zu erzählen.

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"Als ich das erste Mal wieder durch Wien gegangen bin, hat sich alles in meinem Kopf gedreht", erzählt Herr Sussmann. Viel Überwindung habe es ihn gekostet, aber schließlich sei hier auch seine Mutter begraben. Sussmann hätte eigentlich jeden Grund, Wien und Österreich für immer aus seinem Leben zu streichen: Er wurde im Jahr 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert, 1945 kehrte er mit den überlebenden Angehörigen nach Wien zurück. Jedoch nur kurz: "Wir haben uns umgesehen und hier keine Zukunft für uns gesehen."

Präsident Fischer: "Klare Haltung" zur Vergangenheit

Doch heute, ein halbes Jahrhundert später, sitzt Sussmann in der Wiener Hofburg und lauscht den Worten des Bundespräsidenten. Der verspricht den 74 Anwesenden, die auf Einladung des Jewish Welcome Service Wien hier sind, dass sie "in Österreich die Sicherheit haben, Menschen auf der Straße zu begegnen, die die damals begangenen Untaten verurteilen." Es gebe eine "klare Haltung" der Österreicherinnen und Österreicher dazu. 

Seit 1980 lädt die Organisation "Jewish Welcome Service", gegründet von Leon Zelman, jedes Jahr jüdische Holocaust-Überlebende und Vertriebene ein, ihrer ehemaligen Heimat einen Besuch abzustatten. Rund 4000 haben davon bisher Gebrauch gemacht, heuer kommen die Gäste aus Argentinien, Großbritannien, den USA und aus Israel.

Sprachlos in Amerika

Für Sussmann war es keine einfache Reise, wie er selbst zugibt. Die Vergangenheit begleitet ihn nach wie vor. Zu seinen Gefühlen gegenüber der alten Heimat und dem, was ihm angetan wurde, sagt er nur: "Ich bin zu klug, um zu hassen." Das, was Sussmann so lapidar und humorvoll in fünf Minuten über sich und sein Leben erzählt, wäre Filmstoff für mehrere Stunden.

In Amerika muss er mit 17 Jahren ganz neu anfangen. "Ich konnte damals weder schreiben, lesen noch Englisch sprechen, weil ich in Wien nur bis zur 2. Klasse die Schule besuchen durfte", erzählt er. Der Direktor seiner High School sei deshalb erst einmal überfordert gewesen: "Ich konnte es ihm ansehen, wie er dachte: Oh mein Gott, was mach ich mit dem." Mit Filmen und durch einfaches Zuhören im Unterricht konnte Sussmann dann nach und nach die Sprache lernen. Endergebnis davon war ein ausgezeichneter Schulabschluss. Heute spricht er sowohl Deutsch als auch Englisch fließend.

"Rechne nach wie vor in Deutsch"

"Wienerisch" habe sie mittlerweile verlernt, bedauert Erna Schön, aber: "Ich rechne und denke nach wie vor in Deutsch." Die robuste Frau wurde 1939 nach Polen deportiert, anschließend flüchtete sie alleine zurück nach Wien, wurde dort wieder festgenommen und ins KZ Theresienstadt gebracht. Über die Zeit damals spricht Erna Schön mit fester Stimme, obwohl sie von Peitschen, Hunger und dem Kampf ums nackte Überleben erzählt. Ihren zukünftigen Ehemann lernt sie im KZ kennen. Jetzt lebt sie in den USA.

Während es für viele eine große Überwindung ist nach Wien oder Österreich zurückzukehren, hat Erna Schön dem Besuch richtiggehend entgegengefiebert. "Ich habe mich so gefreut, als ich den Brief des Jewish Welcome Service erhalten habe", sagt sie. Warum ist diese Reise in die Vergangenheit für sie keine Qual? "Nicht alle Leute waren schlecht, ich hatte immer auch viele nicht-jüdische Freunde in Wien." Ihre Tochter begleitet sie in Österreich. Sie ist froh, "dass anerkannt wird, dass diese Menschen einmal eine Bereicherung für diese Stadt waren."

"Kann erst sterben, wenn man meinen Vater kennt"

Diese Anerkennung fehlt Bella Ruth Ram zum Teil noch. Ihr Vater, Max Farbmann, war Künstler, gut integriert in Wien, befreundet mit Bürgermeister Karl Seitz. Auf Anraten des Tel Aviver Bürgermeister floh er mit seiner Familie gerade rechtzeitig nach Israel. Frau Ram versteht sich nicht als Opfer - "wir wurden nicht physisch bedroht, aber mussten das Zentrum unseres kulturellen Lebens aufgeben". Sie will jedoch, dass der Name ihres Vaters in Österreich wieder ein Gesicht bekommt.  Das kunsthistorische Museum zeigt nach wie vor ein Bronze-Relief von ihm, "aber wenn ich seinen Namen nenne, kennt ihn niemand." Das zu ändern ist ihr Ziel für die nächsten Jahre: "Erst dann kann ich sterben." (edt/derStandard.at, 9.6.2010)