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Foto: APA/Hans Klaus Techt

In Osteuropa droht ein neuerlicher Konjunkturrückgang. Zu den harten Auflagen des Internationalen Währungsfonds gibt es keine Alternative, findet Osteuropabank-Chef Thomas Mirow im Gespräch mit Andreas Schnauder.

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STANDARD: Wenn man heimischen Bankern zuhört, erhält man den Eindruck, in Osteuropa hätte es nie eine Krise gegeben.

Mirow: Wenn eine Sache gerade mal gutgegangen ist, sollte man nicht so tun, als hätte man sich umsonst beunruhigt. Die Probleme sind nicht alle gelöst. Die Region und jene, die darüber sprechen, täten gut daran, die Schwächen, die in der Krise sichtbar wurden, zu adressieren.

STANDARD: Welche Schwächen?

Mirow: Die Handelsbilanzdefizite sind eher aus zyklischen Gründen mit der Krise zurückgegangen. Andere Schwächen sind die starke Abhängigkeit von Rohstoffen, in anderen Ländern jene von wenigen Produktionslinien. Das sind Dinge struktureller Natur, die man benennen muss.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr der Ansteckung durch die Krise in der Eurozone?

Mirow: Die Region ist sehr abhängig von der Entwicklung insbesondere der großen Volkswirtschaften in Europa. Sollten wir in den nächsten Jahren in Westeuropa nur ein schwaches Wachstum haben, bleibt das nicht ohne Auswirkungen, insbesondere in Mittel- und Südosteuropa. Unsere Einschätzung ist, dass die internen Risiken abgenommen haben, aber die externen beträchtlich sind.

STANDARD: Die EBRD hat zuletzt ein Wachstum von gut drei Prozent im laufenden Jahr vorhergesagt. Hält dieser Wert?

Mirow: In einigen großen Ländern, die stark von Rohstoffen oder Kapitalzuflüssen leben, namentlich Russland, Kasachstan und Türkei, sehen wir eine gewisse Besserung gegenüber früheren Annahmen. Hingegen erkennen wir insbesondere in Südosteuropa eine schwierigere Lage. Das erste Quartal in Kroatien war beispielsweise negativ, auch Rumänien und Bulgarien sind in schwierigeren Fahrwassern als vor einigen Monaten noch angenommen.

STANDARD: Sie haben vor gut einem Jahr einen gewaltigen Kapitalbedarf für die Banken in Osteuropa prognostiziert, der aber nicht eingetreten ist. Warum?

Mirow: Die 150 Milliarden Dollar bezogen sich auf die Kapitallücke in einem Worst-Case-Szenario. Dieser Fall ist nicht eingetreten. Die Banken sind weitgehend stabil, allerdings sind sie sehr vorsichtig bei der Kreditvergabe. In einigen Ländern ist die Versorgung insbesondere kleinerer Unternehmen nicht gewährleistet.

STANDARD: Ein großes Thema sind die vielen faulen Fremdwährungskredite im Osten. Wann ist der Höhepunkt der Kreditabschreibungen erreicht?

Mirow: Im Sommer 2010 sollte der Höhepunkt erreicht werden. Man muss aber immer sehen, dass die Entwicklung der Realwirtschaft Rückwirkungen auf die Bilanzen der Banken hat. Insgesamt ist der Abschreibungsbedarf noch nicht voll erfüllt. Daher rührt auch das hohe Maß an Vorsicht bei neuen Engagements.

STANDARD: In mehreren Ländern, besonders dort, wo der Währungsfonds aktiv ist, wird kräftig restrukturiert. Wie beurteilen Sie die sozialen Folgen dieser Programme?

Mirow: Der IWF hat die Erfahrungen der Asienkrise verarbeitet und Konsequenzen gezogen. Es ist auch so, dass man sich gelegentlich auf den IWF beruft, um Maßnahmen vor der Bevölkerung zu rechtfertigen. Insgesamt begegnet uns wenig Kritik in Bezug auf eine starke Knebelung von Ländern.

STANDARD: Dennoch: Die Arbeitslosigkeit steigt, und die sozialen Netze werden dünner. Erwarten Sie keine politischen Folgen?

Mirow: Da muss man unterscheiden. In vielen Ländern dominieren Einschnitte bei den Gehältern im öffentlichen Dienst, bei denen es zuvor große Steigerungen gab. Aber es stimmt: Einigen Ländern wird viel zugemutet, die Arbeitslosigkeit steigt. Ob das politische Folgen hat, wird man erst in einigen Jahren sehen. Davon abgesehen sind nationale Faktoren unterschiedlich. Im Baltikum sind die Menschen bereit, erhebliche Härten zu akzeptieren. In anderen Ländern ist das nicht so ausgeprägt. Deshalb schauen viele mit so viel Sorge auf Griechenland.

STANDARD: Sind die Konzepte von Lohnsenkung - wir reden hier von Einschnitten um 15 Prozent und mehr - überhaupt sinnvoll? Wird hier nicht kaputtgespart?

Mirow: Was wäre die Alternative für Staaten, die sich an den Kapitalmärkten nicht mehr refinanzieren können? Ich halte das für eine theoretische Betrachtung.

STANDARD: Ungarn wurde bis vor kurzem als Positivbeispiel genannt, dass eine rasche Konsolidierung - wenngleich schmerzhaft - gelingen kann.

Mirow: Ungarn hat in den letzten eineinhalb Jahren eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Es sind aber noch Reformen zur Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig, beispielsweise am Arbeitsmarkt, im Gesundheits- und Pensionssystem. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.6.2010)