Liebe in einem versehrten Land: In Aditya Assarats Debüt "Wonderful Town" sind die Folgen des Tsunami noch spürbar.

Foto: Stadtkino

Wien - Handabdrücke in Zement sind üblicherweise US-Stars vor dem Grauman's Chinese Theatre in Hollywood vorbehalten. Dem thailändischen Filmemacher und frisch gekürten Goldene-Palme-Gewinner Apichatpong Weerasethakul wurde nun gemeinsam mit seinen Darstellern aus "Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives" selbiges Ritual auch in seiner Heimat zuteil. Die höchsten Ehren der Filmkunst sind dafür allemal Grund genug.

"Joe" Weerasethakul, wie der Regisseur von Insidern gerne genannt wird, ist zweifellos der Star der Filmgemeinde Thailands, zu deren Bekanntheit in den letzten Jahren auch Regisseure wie Penek Ratanaruang ("Nymph"), Uruphong Raksasad ("Agrarian Utopia") oder Aditya Assarat beigetragen haben. Als Repräsentant einer nationalen Kinematografie taugt Weerasethakul aber nur bedingt: Denn kaum ein anderer Filmkünstler verkörpert zurzeit besser den Typus eines globalen Grenzüberschreiters, der traditionelle Volksmythen, Pop- und Soapkultur sowie modernistische Formen zu einem unverwechselbaren Stil fusioniert.

Wie international Weerasethakuls Projekte ausgerichtet sind, zeigt bereits ihre Produktionsgeschichte. "Uncle Boonmee" startete in einer ersten Entwicklungsstufe als Kunstprojekt, das unter anderem im Münchner Haus der Kunst zu sehen war; "Syndromes and a Century", der nun endlich ins Kino findet, entstand als Teil der im Mozartjahr ausgerichteten "New Crowned Hope"-Reihe. Die diversen Zugänge führen zu fruchtbaren Verschiebungen und Verschränkungen von Blickweisen - so fremd einem etwa Reinkarnation als Topos ist, so vertraut ist einem das formale Spiel aus Differenz und Wiederholung.

In "Syndromes" verschränkt Weerasethakul zum Beispiel Vorgänge in einer Landklinik im Nordosten des Landes mit jenen in einem hypermodernen Pendant in Bangkok. Die Gegenüberstellung ist nicht wertend, sondern funktioniert eher als Nebeneinander, in dem sich menschliche Grundmuster und -haltungen stärker abzuzeichnen beginnen: das Begehren eines anderen, der Kummer einer Zurückweisung, glückliche Momente kurzer Übereinkünfte. Erinnerung, fester Bestandteil all seiner Filme, wird als ebenbürtige Erzählebene betrachtet, in die der Film umstandslos hinüberdriften kann. Die mythische Geschichte über eine Sonnenfinsternis tritt innerhalb einer erinnerten Begegnung zwischen einer Ärztin und einem liebeskranken Mann auf - und gemäß dieser Logik verzweigt sich der Film immer weiter.

Dennoch behält "Syndromes" eine klare Struktur, die es erlaubt, thematische Linien immer wieder szenisch zu bündeln. In den Untergeschoßen des Stadtkrankenhauses kommt es etwa zu einem Zusammentreffen einer ehemaligen Ärztin mit einem Hämatologen in einem Raum, in dem zahlreiche Prothesen herumstehen. In einer davon ist eine Flasche Whiskey versteckt, man trinkt gemeinsam, kommt ins Reden, Chakra-Heilgriffe werden ausprobiert. Auf sehr entspannte Weise behauptet sich hier im Winkel eines nüchternen Ortes ein Gemeinschaftssinn, eine geteilte Anstrengung zur Heilung.

Tsunami-Blues

Direkter als Weerasethakul (und auch ein wenig berechnender) nimmt sich Aditya Assarat in seinem prämierten Debütfilm "Wonderful Town" einer jüngeren Katastrophe seines Landes an. Ein Architekt aus Bangkok kommt in einer vom Tsunami versehrten Gegend im Süden Thailands an, um den Wiederaufbau einer Anlage zu begutachten. Er findet Gefallen an einer Hotelangestellten, die sein Interesse auch zögerlich erwidert. Doch die Unbeschwertheit der beiden währt nicht lange, als sich Drohgebärden und Übergriffe mehren - der Ort reagiert mit Missgunst auf das neue Glück.

Assarats aus langsamen Szenenabfolgen zusammengesetztes Drama verfügt mit der Landschaft noch über einen weiteren Protagonisten. Überall finden sich hier die Gerippe einstiger Bauwerke wie die Mahnmale einer einst intakten, nun aber zerrissenen Gemeinschaft, die sich nicht von heute auf morgen zu regenerieren vermag. "Wonderful Town" bestreitet seine Geschichte so auch weniger als dramatische Zuspitzung, denn als eine des langsamen Erlöschens - die Menschen laborieren an einer Schwermut, dem existenziellen Strandgut der letzten großen Flut. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 17.6.2010)