Er ist im Finale - dort hat der Muezzin aus Anatolien aber ein "Stilproblem".

Foto: Filmladen

Wien - Was in unseren Breitengraden der Mesner, der per Kirchglockengeläute die Gläubigen ins Gotteshaus holt, das ist andernorts gewissermaßen der Muezzin: Fünfmal am Tag künden seine Rufe von der Größe des Schöpfers und davon, dass es Zeit ist, sich zum Gebet zu versammeln. Der Ruf hat genauen Vorgaben zu gehorchen, ansprechend für die Gemeinde soll er sein, nicht jeder kann ihn so einfach ausführen: "Wir sind Profis", sagt ein solcher Gebetsrufer nicht ohne Stolz.

Einmal jährlich findet in der Türkei eine landesweite Ermittlung des besten Muezzins statt. Dem gehen regionale Ausscheidungen voraus. Der österreichische Filmemacher Sebastian Brameshuber hat für seinen Dokumentarfilm "Muezzin" einige in Istanbul tätige Gebetsrufer - von denen die meisten zugleich auch Imame sind und somit den Mesnerstatus natürlich überschreiten - begleitet und befragt: aktuelle Preisanwärter, einen einflussreichen Mentor und Ausbildner, den stolzen Vorjahressieger.

Dabei erhält man zum einen kleine Einblicke in den Arbeitsalltag, der beginnt, während alles noch schläft, und den ganz konkrete Abläufe, Verrichtungen und Verpflichtungen prägen. Zum anderen begegnet man den Männern auch als Familienväter oder Lehrer. Unter anderem kommt dabei immer wieder das ambivalente Verhältnis strenggläubiger Muslime zur Musik zur Sprache:

Manche Gelehrte lehnten jedwede musikalische Betätigung ab. Auch der als Leiter des Chors der Imame tätige Habil Öndes hat seiner älteren Tochter einst die Ausbildung zur Musiklehrerin untersagt ("Es war mein Schicksal", wird sie das nennen). Die jüngste hingegen singt ihre Songwriterballaden sogar auf Englisch.

Unterschwellig sind noch andere Reibungen und Widersprüche präsent. Von Anrainerbeschwerden über Gebetsrufe ist einmal die Rede und von deren erfolgreicher Abweisung: "Dies ist ein Land des Gebetsrufs" - wer das nicht akzeptiere, der könne ja auswandern.

Solche kulturellen und gesellschaftlichen Konflikte werden nicht vertieft. Dass der Film sich lieber auf seine Protagonisten konzentriert und sich deren Tätigkeit primär im Sinne eines Handwerks und weniger als religiöse Praxis annähert, ist gut nachvollziehbar. Aber auch bezüglich der technischen und musikalischen Seite des Gebetsrufes bleiben Fragen offen.

Dass (und wie) sich die Muezzine als Männer der Musik immer wieder von dieser affizieren lassen, wird jedoch fraglos sichtbar - nicht zuletzt, wenn der Chor der Imame zu einem traditionellen Lied anhebt und sich vielstimmig ein freier, freudiger Gesang entfaltet. (Isabella Reicher  / DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2010)