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STANDARD: Beim G-20-Gipfel drängen die USA auf mehr Konjunkturprogramme, Deutschland auf einen Sparkurs. Wer hat recht?

Alesina: Meiner Meinung nach ist die US-Regierung im Unrecht darüber, dass es mehr Budgetexpansion braucht. Die Defizite in den USA und einigen europäischen Ländern drohen außer Kontrolle zu geraten, daher sollte man mit mehr Stimulus sehr vorsichtig sein. Jetzt kommt die Weltwirtschaft aus der Rezession, und es ist an der Zeit, dass die entwickelten Volkswirtschaften ihre Budgets konsolidieren. Sonst besteht das Risiko für Wachstum, wenn die langfristigen Zinsen steigen.

STANDARD: Aber ein ambitioniertes Sparprogramm könnte doch eine neue Rezession bedeuten.

Alesina: Wir haben einfach keine Wahl. Die Leute sollten aufhören, so zu tun, als würden wir eine Große Depression wie in den 1930er-Jahren bekämpfen. Wir haben diese Gefahr abgewendet, doch jetzt laufen wir eben in die Gefahr der hohen Staatsschulden. Ich gehe zudem nicht davon aus, dass Sparmaßnahmen allzu große Effekte auf das Wachstum haben werden. Die Geschichte hat gezeigt, dass gerade Ausgabensenkungen das Wachstum nicht stark beeinträchtigen.

STANDARD: Deutschland soll also nicht die Nachfrage ankurbeln?

Alesina: Ich glaube nicht, dass ein höherer Staatskonsum von zwei, drei Prozent in Deutschland viel Wachstum in Europa nach sich zieht. Die Auswirkungen von Konjunkturpaketen und auch von Sparmaßnahmen auf die Volkswirtschaft werden derzeit deutlich überschätzt. Eine Ausgabenkürzung wird jetzt keine Rezession auslösen, eine Ausgabenerhöhung nicht viel Wachstum erzeugen. Zudem gibt es andere Länder, die das Wachstum fördern, etwa China oder Brasilien.

STANDARD: Ist eine bessere Koordination der Wirtschaftspolitik in der Eurozone vonnöten, um eine weitere Krise zu verhindern?

Alesina: Das Problem in Europa war nicht ein Mangel an Koordination. Es war ein Mangel an Reformen, etwa auf den Arbeitsmärkten. Die Koordinierung von Fiskalpolitik steht für mich nicht ganz oben auf einer Liste von Reformvorschlägen.

STANDARD: Sie haben Budgetkonsolidierungen erforscht. Wie schätzen Sie den Erfolg der griechischen Sparbemühungen ein?

Alesina: Der Sparplan ist sehr ehrgeizig. Wir haben aber in der Vergangenheit erfolgreiche Beispiele von großen Einschnitten gesehen: Irland war in den 80er-Jahren kurz vor der Pleite, bevor es zu einem Wachstumsmotor und dem "keltischen" Tiger wurde. Klar ist: Ohne große Schritte wird es jedenfalls keine erfolgreiche Wende geben, ein Durchwurschteln wird nicht funktionieren. Es gäbe natürlich die "einfache" Lösung für Griechenland: zuerst ein Sparpaket oder eine Restrukturierung umsetzen, dann aus der Eurozone ausscheiden, um die Währung abzuwerten.

STANDARD: Dieses Mal ist sehr schnell aus einer Finanz- eine Staatskrise geworden.

Alesina: Ich war selbst überrascht, wie schnell das vonstatten ging und wir eine Staatskrise hatten. Griechenland etwa war aber keine direkte Folge der Finanzkrise. Wer sich die volkswirtschaftlichen Daten des Landes vor der Krise angesehen hat, wusste, dass es Probleme geben wird. Es ist zudem nicht klar, ob die Länder, die die größten Rettungspakete verabschiedet haben, auch stärker gewachsen sind. Wir hätten aus dieser Krise ohne weitere Einbußen auch mit weniger Schulden herauskommen können. (Lukas Sustala, DER STANDARD, Printausgabe, 23.6.2010)