Wien - Neuerungen im Familienrecht standen am Donnerstag bei einer parlamentarischen Enquete am Programm. Ein Punkt dabei ist die gemeinsame Obsorge für Kinder im Fall einer Trennung. Justizministerin Bandion-Ortner und Frauenministerin Heinisch-Hosek haben dabei ihre Positionen bekräftigt. Heinisch-Hosek schlägt vor, künftig bei einvernehmlichen Scheidungen auch gleich die Besuchszeiten zu regeln.

Justizministerin weiterhin für Automatismus

In Österreich sind jährlich 21.000 Kinder, davon 15.000 minderjährige, von Scheidungen betroffen. Das Kindeswohl sollte deshalb im Zentrum der Enquete stehen. Bandion-Ortner kann einer automatischen gemeinsamen Obsorge "viel Positives" abgewinnen, denn laut Studien würde die gemeinsame Obsorge, auch wenn sie nicht vereinbart ist, deeskalierend wirken und zu einer besseren Gesprächsbasis führen. So sei erwiesen, dass zum Beispiel Unterhaltsstreitigkeiten seither "massiv" reduziert wurden. Jedenfalls trage die gemeinsame Obsorge zur Konfliktentlastung bei. "Natürlich" könne die Obsorge entzogen werden, wenn sie dem Kindeswohl "widerspricht", sagte die Justizministerin.

Frauenministerin skeptisch

"Neben dem Unterhalt, dem Aufenthaltsort des Kindes und der Obsorge - ob sie gemeinsam oder alleinig erfolgt - sollte auch gleich die Besuchszeit mitgeregelt werden", schlug Heinisch-Hosek vor. Damit soll verhindert werden, dass etwa Väter ihre Kinder so lange nicht sehen, dass es bereits zu einer Entfremdung kommt. Sie zeigte sich erneut skeptisch, was eine automatische gemeinsame Obsorge betrifft: "Das bezweifle ich, dass es automatisch deeskalierend wirkt." Automatismus sei nicht zielführend, erklärte sie die Position der SPÖ. Ein wichtiger erster Schritt hingegen wäre es, die Besuchszeiten bei der einvernehmlichen Scheidung gleich mitzuverhandeln. Ebenso sprach sie sich für eine "Abkühlphase" aus. Sollte man sich bei der Trennung nicht auf die Obsorge einigen können, bekommt sie vorerst ein Elternteil zugesprochen. Zu einem späteren Zeitpunkt soll das Verfahren erneut aufgenommen werden können, um dann eventuell die gemeinsame Obsorge beantragen zu können.

Grüne für Entscheidung durch Schlichtungsstelle

Die Grünen haben sich im Rahmen der Enquete erneut gegen die verpflichtende gemeinsame Obsorge ausgesprochen. Sie regen an, dass eine dem Gericht vorgelagerte Schlichtungsstelle nach Lösungen suchen sollte. Erst in jenen Fällen, wo keine Lösung gefunden wird, soll das Gericht eine Entscheidung treffen. "Eine automatisch gesetzlich verordnete gemeinsame Obsorge kann nicht funktionieren, weil diese voraussetzt, dass es eine Einigung zwischen den Eltern gibt", sagt Grünen-Abgeordnete Musiol.

FP für "bewährtes" deutsches Modell

Den Freiheitlichen gefällt das deutsche Modell mit einer automatischen gemeinsamen Obsorge. "Es wäre nicht unklug, sich an der Bundesrepublik Deutschland ein Vorbild zu nehmen, weil dort offenkundig eine legistische Situation besteht, die sich bewährt hat", erklärte FPÖ-Abgeordneter Fichtenbauer. "Die gemeinsame Obsorge eignet sich nicht, um einen Geschlechterkampf austragen zu können. Am Schluss geht es immer zulasten der Kinder aus", stellte der stellvertretende BZÖ-Klubchef Stadler fest. Er würde es begrüßen, wenn die Gerichte einen größeren Gestaltungsspielraum erhalten.

Besuchsrechts- und Obsorgeverfahren

Die Rahmenbedingungen für Besuchsrechts- und Obsorgeverfahren waren ebenfalls Thema, etwa mögliche Maßnahmen zur Deeskalation oder Beschleunigung. Die meisten geladenen ExpertInnen sprachen sich diesbezüglich für mehr Information und Beratung, aber auch Schlichtungsstellen im Vorfeld eines Gerichtsverfahrens aus.

Das Gericht sei der falsche Platz für Deeskalation, betonte Franz Mauthner, Richter am Bezirksgericht Floridsdorf. Es brauche eine dem Gericht vorgelagerte Schlichtungsstelle. Wichtig, um Verfahren zu verkürzen und auch zu entschärfen, sei außerdem mehr Information über Obsorge- und Besuchsrecht, denn viele Verfahren seien die Folge von rechtlichen Missverständnissen und eigentlich überflüssig. Mauthner kritisierte weiters, dass es zu wenig finanzielle Mittel etwa für Beratungsangebote oder Besuchscafés gebe.

"Leute zu ihrem Glück zwingen"

Auch die Rechtsanwältin Helene Klaar sprach sich für Schlichtungsverfahren bei strittigen Besuchsrechtsfragen aus, entsprechende Stellen solle es an allen Bezirksgerichten geben. Gerichte seien keine Streitschlichter, meinte auch Astrid Deixler-Hübner vom Institut für Zivilverfahrensrecht der Universität Linz. Es brauche vor dem Verfahren eine verpflichtende Beratung der Eltern - es zeige sich in der Praxis, dass man "Leute zu ihrem Glück zwingen kann". Für jene, die vor Gericht landen, müsse es raschere Verfahren geben. Weiters forderte Deixler-Hübner, die Rechte des Kinderbeistands auszubauen.

Reinhard Neumayer aus der Abteilung Jugendwohlfahrt beim Amt der niederösterreichischen Landesregierung plädierte für mehr Elternbildung, damit diese mit ihren Konflikten umgehen könnten. Kinder brauchten außerdem "klare Entscheidungen", und weil sie nicht so lange auf eine Entscheidung warten könnten, müsste das wirtschaftliche Scheidungsverfahren vom Obsorgeverfahren getrennt werden, verlangte Neumayer. Für die Obsorge solle es eine vorläufige, rasche Erstentscheidung mit einem großzügigen Besuchsrecht geben - wenn es ein Elternteil nicht wahrnehme, solle er das auch im weiteren Verfahren spüren. Weiters notwendig sei eine Verkürzung der Mindestabstände zwischen den Kontaktzeiten.

Johann Maier von der SPÖ plädierte für eine Sicherstellung der Finanzierung der Jugendwohlfahrten. Auch forderte er genauere Daten über die Dauer von Besuchsrechts- und Obsorgeverfahren, etwa wie lange diese durch Rechtsmittel verzögert würden. Bundesrätin Monika Mühlwerth (F) will schnellere Verfahren, denn sonst komme es zu Entfremdung zwischen dem Kind und einem Elternteil. Für eine Beschleunigung der Verfahren ist auch Ewald Stadler vom BZÖ. Er kann sich auch Schlichtungsversuche in Form von Vorverfahren durch eine Familiengerichtshilfe vorstellen.

Weiters notwendig für das BZÖ ist die Abschaffung der derzeitigen Möglichkeit, die gemeinsame Obsorge ohne Begründung zu beenden, generell brauche es in Streitfällen mehr Information. Mehr Beratung als Unterstützung für Eltern forderte Ridi Steibl von der ÖVP - man müsse die entsprechenden Frauen-, Männer- und Familienberatungsstellen finanziell besser absichern. Man solle sich aber auch die Angebote dieser Einrichtungen ansehen und gegebenenfalls auf gewisse Schwerpunkte einschränken.

Die Grüne Abgeordnete Daniela Musiol wies darauf hin, dass in der Diskussion viel vermischt werde und Eltern oft nur dürftig über ihre Rechte und Pflichten informiert seien. Im Rahmen des Mutter-Kind-Passes solle es deshalb eine rechtliche Beratung geben. Abermals forderte Musiol für strittige Fälle eine Schlichtungsstelle, die dem Gericht vorgelagert ist.

Die Forderung von Peter Fichtenbauer (F) nach einer Verfahrensdauerbeschränkung beim Besuchsrecht auf sechs Monate wiesen Markus Huber von der Volksanwaltschaft und Doris Täubel-Weinreich von der Richtervereinigung vehement zurück. Konflikte müssten möglichst schon vor dem Verfahren gelöst werden.  (APA)