Mnemiopsis leidyi

Foto: J. Javidpour, IFM-GEOMAR

Die Wanderwege der Rippenqualle, analysiert anhand der Verteilung bestimmter genetischer Marker bei den Mnemiopsis leidyi-Populationen im Golf von Mexiko, vor Neuengland, im Schwarzen- bzw. Kaspischen Meer sowie in Nord- und Ostsee.

Grafik: Reusch

Kiel - Eine Spezies kann leicht zum Bioinvasoren werden, wenn sie per Zufall in einen Lebensraum gelangt, in dem es an natürlichen Feinden mangelt. Paradebeispiel ist die auch als "Meerwalnuss" bekannte Rippenqualle Mnemiopsis. Die etwa zehn Zentimeter großen Tiere stammen ursprünglich aus den atlantischen Küstengewässern Nord- und Südamerikas. 

Unwillkommener Badegast

In den 1980er Jahren gelangte die Qualle wahrscheinlich im Ballastwasser von Frachtschiffen ins Schwarze und dann ins Kaspische Meer. Dort vermehrte sie sich massenhaft und veränderte beide Ökosysteme massiv - denn eine ihrer Hauptnahrungsquellen sind Fischeier. Unter anderem brachen die Sardellen-Bestände in der Region zusammen, eine ganze Fischerei-Industrie verlor die wirtschaftliche Grundlage.

2006 wiesen Kieler Biologen Mnemiopsis leidyi schließlich auch in der Ostsee nach, kurze Zeit später entdeckten Forscher sie in der Nordsee. Doch zunächst blieb unklar, wie die Rippenqualle hierher gekommen war. Eine neue Studie von Wissenschaftern des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) zeigt nun: Die Invasion von Nord- und Ostsee ist eine ganz eigene Einwanderungswelle, die getrennt von der Invasion des Schwarzen Meers ablief. "Alles spricht dafür, dass Mnemiopsis leidyi wieder im Ballastwasser von Frachtschiffen direkt aus den Ursprungsgebieten nach Nordeuropa gelangte", sagt Professor Thorsten Reusch, Leiter der Forschungseinheit "Evolutionsökologie mariner Fische" am IFM-GEOMAR und Hauptautor der Studie, die in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Molecular Ecology" erscheint.

Zwei Feldzüge

Um den Ausbreitungswegen von Mnemiopsis leidyi auf die Spur zu kommen, analysierten Reusch und sein Team das Erbgut von Quallen der unterschiedlichen Populationen mittels sogenannter Wiederholungsregionen in der Erbinformation. Von Forscher-Kollegen aus den USA, aus der Türkei, Bulgarien, Dänemark, der Ukraine und aus dem Iran ließen sie sich getrocknete Rippenquallen-Exemplare schicken. "Getrocknet sind die Quallen am einfachsten zu transportieren und die DNA bleibt erhalten", erklärt Reusch das Vorgehen. Schließlich besaßen die Kieler Biologen Proben aus allen vier Regionen, in denen Mnemiopsis leidyi aktuell vorkommt, also vom Golf von Mexiko, der US-amerikanischen Nordostküste, aus dem Schwarzen Meer und aus Nord- und Ostsee.

Das Ergebnis der Analyse: Die Exemplare aus dem Schwarzen Meer weisen deutliche Ähnlichkeiten mit denen aus dem Golf von Mexiko auf, unterscheiden sich aber ebenso deutlich von den Quallen aus der Ostsee. Diese sind dagegen sehr eng mit Mnemiopsis leidyi vor Neuengland verwandt. "Die Invasoren in der Ostsee stammen also von der nördlichen amerikanischen Population ab, die im Schwarzen Meer von der südlichen", fasst Reusch zusammen. Eine natürliche Ausbreitung aus dem Schwarzen Meer über Flüsse und Kanäle in die Ostsee kann ausgeschlossen werden.

Ein Schiff ist gekommen ...

Richtig überrascht waren die Forscher von einem weiteren Ergebnis. Die Untersuchungen zeigten, dass Mnemiopsis leidyi sich zuerst in der Ostsee ausbreitete und von dort in die Nordsee wanderte. "Da viele Trans-Atlantik-Schifffahrtsrouten in Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen enden, hatten wir eigentlich mit der umgekehrten Reihenfolge gerechnet", sagt Professor Reusch. "Der Überträger war also wahrscheinlich ein Frachter, der aus Neuengland kommend direkt einen baltischen Hafen anlief."

"Es ist auffällig, dass sich ausgerechnet die nördlichere Population in Nord- und Ostsee und die südlichere im Schwarzen Meer verbreitet hat. Mit lebenden Exemplaren wollen wir testen, ob das an einer vererbten Anpassung an durchschnittlich wärmere oder kühlere Wassertemperaturen liegen kann", weist Sören Bolte, Doktorand am IFM-GEOMAR und Mitautor der Veröffentlichung, auf ein weiteres Untersuchungsergebnis hin. Im Rahmen seiner Doktorarbeit wird er sich mit der Frage beschäftigen, wie schnell sich die Ostsee-Neubürger an die neuen Umweltbedingungen anpassen können. Allgemein wisse man noch viel zu wenig über die Anpassungsgeschwindigkeit von invasiven Arten, so Bolte. Daher könne man auch noch nichts zur weiteren Entwicklung in der Ostsee sagen. "Nur eins ist sicher: Mnemiopsis leidyi ist robust und sehr tolerant gegenüber Temperatur- und Sauerstoffbedingungen." (red)