Andreas Okopenko, 1999 in seiner Floridsdorfer Wohnung: ein Träumer des Konkreten, der im repressiven österreichischen Kulturklima ein Außenseiter blieb.

 

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Andreas Okopenko, dieser ruhige, sich ganz und gar zurücknehmende Mensch, war der Tüftler unter den österreichischen Literaten. Mit seinem "Lexikon einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden" , kurz genannt "Lexikon-Roman" , hat er die Idee einer lesergesteuerten nonlinearen Erzählung, die später, im Zeitalter des PC, unter dem Begriff Hypertext abgefeiert wurde, Jahrzehnte vorweggenommen. --- Josef Haslinger

Nie mehr am Tisch mit Andreas Okopenko zusammensitzen - den Glanz seiner Augen, das Staunen in ihnen nicht mehr sehen - selten bin ich einem Menschen wie ihm begegnet, der scheu und doch lustvoll einfach da war, ein Meister des Schrägen und klar Konzipierten. --- Günther Kaip

Andreas Okopenko war ein Kollege, den ich sehr geschätzt habe. In der Wahrnehmung der literarischen Öffentlichkeit allerdings blieb er zeitlebens unterschätzt. Es bleibt zu hoffen, dass sich das - auch wenn Andreas Okopenko nichts mehr davon hat - ändern wird. --- Peter Henisch

Okopenkos Sensibilität und Feinfühligkeit, seine scharfe Beobachtungsgabe und sein wacher Witz, seine Höflichkeit und Galanterie werden im heimischen Literaturleben fehlen. --- Kurt Neumann

Andreas Okopenko hat über viele Jahrzehnte einen kaum bekannten überdurchschnittlichen Beitrag zur Unterstützung von Schriftstellern geleistet, trotz oder vielleicht gerade wegen seiner überragenden Bedeutung als Schriftsteller. --- Gerhard Ruiss

Foto: Robert Newald

Wien - Freunde und Wegbegleiter nannten den österreichischen Schriftsteller Andreas Okopenko kurz "AOk" : In dieser schmucklosen Formel blitzte der naturwissenschaftliche Geist auf, der Okopenkos Dichten und Denken erkennbar anleitete. Der freundliche Herr aus der Floridsdorfer Autokaderstraße war gelernter Industriechemiker. Zu dichten wie Okopenko, das hieß bereits in den frühen 1950er-Jahren: Augenblickserlebnisse so zu registrieren, dass das in Verse gefasste Ergebnis auch jeder Überprüfung standhält.

Der bekennende Rationalist Okopenko, der 1930 im slowakischen Košice geboren wurde, war ein naturkundlicher Feldforscher: Er sammelte Erlebnis-Elemente, pickte sie auf in den Vorortezügen, in den Brachen jener Übergangszonen, die zwischen Stadt und Land eine schwer bestimmbare Mitte halten.

Wer dichtete wie Okopenko, der hatte die Gesänge verabschiedet. "AOk" aber blieb zeitlebens ein unermüdlicher Naturbestauner, der in einer Farbnuance, in der Regsamkeit der mit dem Wiederaufbau beschäftigten Zivilgesellschaft die Magie des Flüchtigen erkennen konnte. Der Poet von Grüner November (1957) und Seltsame Tage (1963) war von der Welt geradezu voyeuristisch ergriffen. Die Verdichtung des Augenblicksgefühls atmet in seinen Gedichten den Zauber einer letztlich unerklärlichen Betroffenheit:

"Ich fahre an der Secession vorüber / ein Mädchen spricht ,Siliciumoxyd' / und ihre ungeschminkte Nachbarin / blickt seltsam irgendwodazwischen hin ..."

Goldene Zeiten

Es erübrigt sich beinahe, zu sagen, dass Okopenko im repressiven österreichischen Kulturklima Außenseiter blieb: Er suchte und fand zwar Anschluss an Gruppierungen, die sich um einige wenige Publikationsorte versammelten, sein strenges, pazifistisch unbestechliches Denken verbannte ihn jedoch an die Peripherie, die er auch dann nicht verließ, als ihm Prosa-Meisterwerke wie der Lexikon Roman (1970) gelangen: ein Materialsteinbruch aus selbstverfertigten Lexikoneinträgen, die den Leser zur eigenständigen Montage einer Reiseroute ermuntern. Okopenko erlangte mit der Abfassung ebenso kapriziöser wie einleuchtender Nonsensgedichte sogar öffentliche Bekanntheit: Es waren die Jahre, als eine große Schuhhandelskette Dichter im Werbefernsehen als Verkaufsgehilfen verdingte. Es waren, nicht nur der Absätze wegen, goldene Zeiten.

Noch zu solcher Gelegenheit war "AOk" der artige, unendlich höfliche Außenseiter: ein Autor, der Jahre geduldig auf Eingebungen warten konnte - bis diese seinen Ansprüchen endlich zu genügen imstande waren. Die Bannung des "Fluidums" , einer flüchtigen Erscheinung von Evidenz, die den ineinander verstrickten Dingen anhaftet, mag an Walter Benjamins "Aura" -Begriff erinnern ("einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag" ).

Grillenhafter Chronist

In Wahrheit blieb Okopenko ein bezaubernd grillenhafter Chronist Nachkriegsösterreichs: ein Träumer des Konkreten, der in Romanen wie Kindernazi (1984) die geläufige Ordnung von Zeit und Raum wie ein Jongleur aufhob. Okopenko war ein selbstloser Freund und Ermunterer vieler Jungautoren. Schon in den frühen 1950er-Jahren, noch bevor Okopenkos erstes Buch erschien, gab er zwei Jahre lang die Literaturzeitschrift publikationen heraus und damit der österreichischen literarischen Avantgarde Raum für Veröffentlichungen.

Okopenkos unermüdliche Arbeit für die Literatur wurde 1998 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet, 2002 folgte der Georg-Trakl-Preis für Lyrik.

Vorgestern, Sonntagvormittag, ist Andreas Okopenko rund drei Monate nach seinem 80. Geburtstag in Wien gestorben. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 29.06.2010)