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"Je früher man in den Rechtsetzungsprozess einbezogen ist, desto mehr kann man ihn beeinflussen."

Zur Person: Evelyn Regner sitzt seit Juli 2009 für die SPÖ im Europaparlament. Zuvor leitete sie im ÖGB die Stabsstelle für EU und Internationales.

Foto: APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER

Lobbying in der EU ist kein neues Phänomen. Die Parlamentarier sind im Grunde daran gewohnt. Vergangene Woche wurde es ihnen allerdings zu viel. In einem gemeinsamen Appell machten die Abgeordneten ihrem Ärger Luft. Die Finanzbranche sei übermächtig und es fehle an Gegenexpertisen. Die SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner erklärt im Interview mit derStandard.at, was sie an Lobbyismus problematisch findet und wo sie Lösungsansätze sieht.

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derStandard.at: Ist der Aufschrei gegen den Einfluss der Lobbyisten nicht auch ein Zeichen der Ohnmacht der Parlamentarier? Sie müssen doch nicht im Interesse der Lobbyisten abstimmen?

Regner: Das EU-Parlament ist Co-Gesetzgeber. Wir entscheiden zu 50 Prozent mit und das ist schon gebündelte Macht. Insbesondere deshalb, weil die EU-Institutionen mittlerweile erhebliche Kompetenzen besitzen - auch im Vergleich zur nationalen Gesetzgebung. Dieser Aufschrei soll darauf aufmerksam machen, wie stark Lobbyisten bereits vor einer Entscheidung einbezogen sind. Es soll auch ein Hinweis darauf sein, mit welchen Argumenten und welcher Sachkompetenz es einem bestimmten Bereich gelingt, der sehr viel Geld und Macht hat - allerdings nur einen kleinen Kreis der Bevölkerung repräsentiert - gehört zu werden. Hier gibt es ein Missverhältnis.

Bevor über einen Vorschlag der Kommission, oder über eine Richtlinie entschieden wird, ist es notwendig Sachkenntnis einzuholen. Das ist in der Regel so, dass es Stellungnahmen gibt oder auch High Level Groups, die bei der Kommission eingerichtet werden. Je früher man in den Rechtsetzungsprozess einbezogen ist, desto mehr kann man ihn beeinflussen. Das ist in Österreich genauso. Wenn man schaut, dass man als sich Interessensvertreter einbringt bevor eine Regierungsvorlage kommt, kann ich inhaltlich mehr machen, als wenn die Diskussion im Parlament selber ist.

derStandard.at: Den Aussagen der Parlamentarier zufolge ist besonders die Finanzbranche sehr aktiv und erfolgreich im Durchsetzen ihrer Interessen. Auf nationaler Ebene sind die Gewerkschaften als Interessensvertretung immer noch einflussreich. Warum schaffen soziale Interessensvertretungen es nicht, diese Verhandlungsmacht auch in Brüssel durchzusetzen?

Regner: So schlimm ist es nicht. Es stimmt zwar, dass ein anderes Verhältnis als auf nationaler Ebene herrscht, aber so mächtig sind Gewerkschaften im nationalen Kontext auch nicht - und so ohnmächtig sind sie auch nicht auf europäischer Ebene. Es ist nur so, dass viele, die die Interessen des Finanzmarktes vertreten letztlich leiser auftreten. Wenn ich beispielsweise über eine sehr gute Gesprächsbasis zu Ministern oder anderen Entscheidungsträgern verfüge, dann habe ich es nicht notwendig auf der Straße zu demonstrieren.

derStandard.at: Aber genau diese Vorgehensweise könnte auch beispielsweise die Gewerkschaft für ihre Interessen nutzen.

Regner: Das stimmt. Aber wieder auf die europäische Ebene zurück: Wenn Kommissionspräsident Barroso eine High Level Group einrichtet, die Vorschläge zur Finanzmarktregulierung erarbeiten soll, ist diese hochrangige Expertengruppe so zusammengesetzt, dass sich Barroso die Leute selber aussucht.

derStandard.at: Darf er das im Alleingang entscheiden?

Regner: Er braucht das OK des Kommissionskollegiums - also aller Kommissare. Aber er ist der Kommissionspräsident. Hier besteht also die Möglichkeit allein durch die Zusammensetzung einer Gruppe, die zwar noch nichts rechtsverbindliches machen kann, schon Inhalte zu entscheiden. Es macht einen Unterschied, ob in einer Expertengruppe nur Banker oder auch Vertreter einer Konsumentenschutzorganisation sitzen. Ich sage nicht, dass eine andere Besetzung der High Level Groups das Problem löst, das wäre nur ein erster Schritt.

Aber es ist wichtig zu sagen, je früher man dran ist, bei einem Thema, desto besser. Dementsprechend ist es entscheidend, wie zum Beispiel Think Tanks hier in Brüssel besetzt sind. Natürlich ist Wissenschaft unabhängig, aber es ist auch möglich Gutachten zu erstellen oder Veranstaltungen zu organisieren, wo sehr fundierte, kluge Leute auftreten, die aber auch nur eine Seite der Medaille präsentieren. Das ist letztlich meinungsbildend.

Es ist aber sehr wohl möglich als NGO, insbesondere als Gewerkschaft, den politischen Entscheidungsprozess zu beeinflussen, keine Frage. Aber wenn man sich anschaut welche Mittel finanzieller Art oder toll ausgebildetes Personal dahinter steht, dann kann man sagen, das ist ein Missverhältnis.

derStandard.at: Wie könnte man dieses Ungleichgewicht ausbügeln? Wäre ein eigener wissenschaftlicher Dienst der EU in bestimmten Bereichen eine Lösung?

Regner: Die einzige Lösung gibt es nicht, es ist notwendig mehrere Konfliktfelder aufzubereiten. Eine Möglichkeit habe ich bereits erwähnt: die möglichst demokratische Zusammensetzung der High Level Groups. Das nächste ist die Registrierung von Lobbyisten. Es gibt das Register der Lobbyisten im Europäischen Parlament.

derStandard.at: Der Eintrag in diesem Register ist allerdings freiwillig?

Regner: Genau das ist das Problem. Es ist ein Unterschied, ob Lobbyisten freiwillig registriert werden, oder ob es eine Verpflichtung gibt.

derStandard.at: Wie groß ist der Anteil derer, die sich registrieren lassen?

Regner: Da trau ich mich insofern keine Summen nennen, weil die Art und Weise wie man registriert ist, oft komplett unterschiedlich ist. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) ist eine Gewerkschaft, also wirklich kein klassischer Lobbyist, aber hat sich in dem Lobby-Register des Europäischen Parlaments eintragen lassen und zwar weil es uns wichtig ist, transparent zu sein und zu zeigen, dass wir präsent sind. Da steht auch drinnen, wen und wie viele wir repräsentieren. Es ist natürlich nicht der ganze ÖGB in Brüssel präsent, sondern es gibt ein Büro mit einigen Mitarbeitern.

Dann gibt es aber auch viele Büros aus denen nicht ganz ersichtlich ist, wer hier wen vertritt. Ist jetzt die Firma XY mit ihren Vertretern da, um die Firma selbst zu vertreten oder den ganzen Verband der dahinter steht. Es gibt auch eine Fülle von „NGOs", wo von Verbänden und Unternehmen kleine NGOs gegründet werden, die sollen dann einen bestimmten Aspekt des Unternehmens repräsentieren. Das verzerrt natürlich den Blick und insofern ist Registrierung auch nicht der Stein der Weisen, aber ein weiterer Schritt, um weiter zukommen.

derStandard.at: Gibt es derzeit Initiativen, die Registrierung für Lobbyisten strenger zu gestalten?

Regner: Im Moment ist diesbezüglich gerade Pause. Ich habe eine parlamentarische Anfrage formuliert. In der vergangenen Legislaturperiode war das ein großes Thema. Im Moment ist, soweit mir bekannt, nichts auf der Tagesordnung. Aber das wäre natürlich wünschenswert. (mka, derStandard.at, 30.6.2010)