Andreas Brunner von QWien gräbt bei seinen Führungen in der Geschichte von Wissenschaft und Homosexualität - etwa anhand von Büsten wie jener Joseph von Sonnenfels.

Foto: Der Standard/Heribert Corn

"Welche Wissenschafter schwul waren oder sind, werden Sie nicht von mir nicht erfahren" , nimmt Andreas Brunner gleich vorweg. Der Historiker und geprüfte Fremdenführer bekräftigt: "Die Schlüssellochperspektive interessiert mich nicht." In einer Nische der Aula des Hauptgebäudes der Universität Wien an der Ringstraße steht Brunner vor den marmornen Tafeln, in welche die Namen aller Rektoren der Alma Mater in goldenen Lettern eingemeißelt sind.

Hier beginnt der Rundgang Homosexualität in der Welt der Wissenschaften, der im Vorfeld der 15. Regenbogenparade am 3. Juli gemeinsam von Uni Wien und QWien, Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, ausgearbeitet wurde. Darin will Brunner zeigen, "dass sich das Haus immer schon mit Homosexualität auseinandergesetzt hat, wenn auch nicht immer im positiven Sinn" .

Brunner zeigt auf einen der vielen Namen auf der Tafel, die heute kaum jemand zuordnen kann. "Roland Grassberger hat als Ordinarius des Instituts für Strafrecht und Kriminologie Gutachten für die ÖVP zur Strafrechtsreform gemacht und sich immer wieder gegen die Aufhebung des Totalverbots von Homosexualität, das bis 1971 existierte, ausgesprochen", schildert er. "Er war Nazi, hat dann eine klassische Nachkriegskarriere gemacht. Und auch dann noch oft eine nationalsozialistische Diktion beibehalten", sagt Brunner und liest zur Untermauerung ein Zitat des ehemaligen Rektors vor.

Wissenschaftliches Tabu 

Dass es in den 1980er-Jahren nur eine einzige Vorlesung gab, die das Wort Homosexualität im Titel führte, erfahren die Teilnehmer des Rundgangs dann in einem Hörsaal. "Es war sehr lange unmöglich, akademisch über das Thema zu forschen, es war wahnsinnig tabuisiert. Und wollte jemand wissenschaftlich dazu arbeiten, wurde ihm automatisch Betroffenheit und damit auch Befangenheit vorgeworfen", sagt Brunner. Erst gegen Ende der 80er-Jahre habe sich in manchen Instituten erstmals Widerstand gegen reaktionäre Lehrende geregt.

Weiter geht es im Arkadenhof: In den hohen Gängen stehen steinerne Büsten berühmter Wissenschafter Spalier und blicken auf die Studenten, die sich in den Liegestühlen im Hof sonnen - wobei keine einzige Büste einer Frau gewidmet ist, wie Andreas Brunner anmerkt. In diesem Teil der Führung gräbt er tiefer in die Historie und gibt so manchem unscheinbaren Steingesicht "einen Teil seiner Geschichte" zurück, wie er sagt.

Von Joseph von Sonnenfels, der entscheidend an der Abschaffung der Todesstrafe im Strafrecht von Joseph II. mitgewirkt hat, über den Gerichtsmediziner Richard von Krafft-Ebing, dessen Kategorisierung von Homosexualität in angeborene und erworbene Formen erheblichen Einfluss auf die Strafrechtspraxis hatte, bis hin zu Sigmund Freud und dessen schwierigem Verhältnis zu seiner lesbischen Tochter Anna - der Guide fördert Erstaunliches wie auch Kurioses zutage. Er berichtet etwa über den Erfinder der Begriffe Homo- und Heterosexualität, fehlgeschlagene Experimente zur Heilung Ersterer sowie über die Gründe, warum das Bayern des 19. Jahrhunderts einen liberaleren Umgang mit Schwulen und Lesben pflegte als das heutige.

Neues Archiv

Über die Sammlung von Frauennachlässen führt Brunner in die Uni-Bibliothek, wo er anhand des Online-Katalogs zeigt, dass es schwierig sein kann, altes Forschungsmaterial zum Thema Homosexualität in den Beständen zu finden, da es oft nicht als solches ausgewiesen ist. Um WissenschafterInnen den Zugang zu Quellen zu erleichtern, hat QWien vergangene Woche ein Archiv eröffnet, das seit Jahrzehnten gesammeltes Material - Literatur, Periodika, Nachlässe und andere Dokumente schwulen und lesbischen Lebens von der Jahrhundertwende bis in die Gegenwart - zugänglich macht.

"Heute gibt es vonseiten der Uni keine Berührungsängste mehr", resümiert Brunner, der seinen Rundgang im Festsaal abschließt. "Es gibt viele Lehrveranstaltungen und zahlreiche Initiativen der Studierenden. Und Homophobie kann nicht mehr ungebrochen transportiert werden."(Karin Krichmayr, Der Standard /Printausgabe 29.06.2010)