Wimperntierchen: Mit diesem Modellorganismus untersuchten Biologen der Universität Salzburg das Verhalten lokaler Lebensgemeinschaften, wenn sie miteinander in Verbindung treten.

Foto: Limberger

Im Natur- und Artenschutz wird immer wieder die Einrichtung von Korridoren zwischen Restpopulationen bedrohter Arten gefordert, um auch bei geringen Stückzahlen einen genetischen Austausch zu gewährleisten. Trotzdem gibt es wenig Forschungsarbeiten dazu, wie sich lokale Lebensgemeinschaften verhalten, wenn sie miteinander in Verbindung treten. Landlebewesen, an denen bevorzugt geforscht wird, brauchen große Flächen und müssen über Zeiträume beobachtet werden, die oft weit über übliche Projektlängen hinausgehen. Nicht so Einzeller: Die sind klein, gut im Labor zu halten und lassen sich hervorragend manipulieren.

Steve Wickham und Romana Limberger vom Institut für Organismische Biologie der Universität Salzburg untersuchen mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF die Entwicklung von Biodiversität in sogenannten Metagemeinschaften, also lokalen Gemeinschaften, die miteinander durch Ausbreitung verbunden sind. Als Modellorganismen verwenden sie dafür wasserlebende, bodenbewohnende Einzeller, die sie in Mikrokosmen unterbringen. Das "Mikro-Universum" der Einzeller ist im vorliegenden Fall eine wassergefüllte Plexiglas-Wanne von zehn mal zehn Zentimetern, deren Boden mit Fliesen ausgelegt ist. Diese sind mit Algen bewachsen, die den Einzellern als Nahrung dienen. Je nach Versuchsanordnung können mehrere dieser Wannen mit dünnen Plastikschläuchen verbunden werden. Besetzt werden die Mikrokosmen mit verschiedenen Arten von bodenbewohnenden Wimpertierchen, die auch in freier Natur gemeinsam vorkommen.

Einer der wichtigsten Faktoren, die sich auf die Biodiversität auswirken, sind Störungen. Eine Störung kann sehr lokal begrenzt sein, wie etwa die Austrocknung eines Gewässers, oder auch regional auftreten, wie etwa ein Hochwasser. Bei Wickham und Limberger simulierten vier miteinander verbundene Wannen eine Metagemeinschaft, die dadurch gestört wurde, dass man einmal wöchentlich die Hälfte der Einzeller entnahm

Die verbleibenden Tierchen mussten nun durch rasche Vermehrung oder durch Zuwanderung aus einem Nachbarbehälter den freien Lebensraum neu besiedeln. Wie sich herausstellte, führten diese Eingriffe nur dann zum Aussterben von Arten, wenn die Störungen auf lokaler Ebene wirkten (also lokale Gemeinschaften vollständig zerstörten), während Störungen auf Ebene der Metagemeinschaft zwar die Dominanzstrukturen beeinflussten, die Artenzahl aber nicht verringerten.

Frühe Ankömmlinge

Im Zuge ihrer Experimente konnten Wickham und Limberger auch mit einer gängigen ökologischen "Meinung" aufräumen: Demnach sollten Arten, die gut darin sind, neue Lebensräume zu besiedeln, schlecht darin sein, ihn gegen später ankommende Konkurrenten zu behaupten - und umgekehrt. Die Forscher verbanden Mikrokosmen mit je einer von sechs Arten über einen zehn Zentimeter langen Schlauch mit einem zweiten, leeren Behältnis und hielten fest, wann die Wimpertierchen jeweils das neue Habitat erreichten. In einem weiteren Experiment ermittelten die Wissenschafter die Konkurrenzstärke der sechs Arten. Dazu untersuchten sie, wie stark die einzelnen Arten einander in ihrem Populationswachstum hemmten. Dabei stellte sich heraus, dass die frühesten Ankömmlinge auch starke Konkurrenten waren.

Um die Auswirkung von Verbindungen zwischen Habitaten auf die Artenvielfalt zu überprüfen, besetzten Wickham und Limberger jeweils sechs Wassertanks mit unterschiedlichen Arten von Wimperntierchen und verbanden sie in der Folge unterschiedlich stark mit Schläuchen: Das reichte von einer einfachen Verbindung mit jeweils einer Nachbarwanne bis zu direkten Austauschmöglichkeiten mit jeweils drei Nachbarn. Das Ergebnis: Solange die Ausbreitungsmöglichkeiten gering sind, können neue Arten einwandern und erhöhen so die lokale Biodiversität. Wird die Wanderung zwischen allen Habitaten aber durch hohe Vernetzung extrem erleichtert, breitet sich die konkurrenzstärkste Art rasch überall aus und verdrängt schwächere Arten. Auch hier macht also nur die Dosis das Gift bzw. ein Heilmittel.

Ein weiteres Experiment befasste sich damit, wie Raubdruck die Biodiversität beeinflusst. Der Räuber im Mikrokosmos war ein winziger Krebs. Konnte dieser ungehindert wandern und sich in der gesamten Metagemeinschaft breitmachen, dann waren die Einzeller schnell weggefressen. Wurde der Krebs hingegen durch ein kleines Netz in den Verbindungsschläuchen an einem Ort gehalten, erhöhte die Verbindung der Habitate die Diversität der Beutegemeinschaft.

Ob sich die Vernetzung von Habitaten positiv auf die Artenvielfalt auswirkt, hängt also auch stark damit zusammen, ob sich ein Räuber in der Gemeinschaft befindet. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. Juni 2010)