Gelegentlich bewegt sich doch etwas, und das kommt dann überraschend: Das Bundeskanzleramt hat am Dienstag die für 26. Juli geplante Gedenkmesse zum Todestag von Engelbert Dollfuß abgesagt. Das ist doch bemerkenswert. Die Dollfuß-Gedenkmesse findet alljährlich seit Kreiskys Zeiten statt, und jedes Jahr wieder gab es eine Diskussion darüber, ob es angebracht sei, des Klerikalfaschisten Dollfuß, der nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 diktatorisch per Notverordnung regierte, im Bundeskanzleramt zu gedenken.

Die ÖVP hatte stets argumentiert, dass der christlich-soziale Dollfuß ein Opfer der Nationalsozialisten war und immerhin für die Eigenständigkeit Österreichs eingetreten ist. Die SPÖ wiederum schien den Streit mit der ÖVP zu scheuen. Sollen sie halt des Schmalspurdiktators gedenken. Das ist - oder war - typisch für Österreich und seinen Umgang mit der Geschichte. Die ÖVP hat ihr Verhältnis zu Dollfuß bis heute nicht aufgearbeitet. Die SPÖ hatte zwar eine klare Meinung, ließ sie sich aber abkaufen, wenn es nur darum geht, den Koalitionsfrieden zu wahren.

Dieses Unverbindliche, dieses Wegschauen, das ist der unsympathische Zugang zur Aufarbeitung: Mir san mir, und wer das genau sein soll, das wollen wir gar nicht so recht wissen. Dass die Geschichtsverdrängung jetzt durchbrochen wird, wenn auch nur mit einer symbolischen Geste, ist ermutigend. Aus Geschichte kann man auch lernen. (Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 7.7.2010)