Der Journalisten-Report III
Politikjournalismus in Österreich
Von Andy Kaltenbrunner, Matthias Karmasin und Daniela Kraus
Facultas Universitätsverlag

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Mit Politikern verhabert, immer weniger investigativ tätig, oft parteiisch, wenig innovativ was die Nutzung neuer Medien angeht – So könnte man, wenn man Vorurteile bedienen will, Österreichs Innenpolitikjournalismus beschreiben. Man könnte aber auch eine empirische Studie mit Interviews und Telefonbefragungen unter Österreichs Polit-JournalistInnen machen und diese selbst zu ihrer Arbeitsweise, ihren Wertvorstellungen, ihrer Jobzufriedenheit und ihren Zielen Stellung nehmen lassen – und so einige der Vorurteile zumindest teilweise entkräften, andere empirisch belegen.

Genau das hat das Medienhaus Wien getan, und herausgekommen ist ein breit angelegter Befund über Österreichs Politikjournalismus, den man unter dem Schlagwort: "Nicht außerordentlich hoffnungsvoll, aber auch keineswegs hoffnungslos" zusammenfassen könnte. Um bei den eingangs angesprochenen Vorurteilen zu bleiben:

  • Verhaberung zwischen Politikern und Journalisten?

Ja, die gibt es – und nein, die tut kritischer Distanz zwischen dem Objekt der (Interview)-Begierde und dem objektiv bleiben sollenden Medienmacher nicht gut. 73 Prozent der 100 befragten JournalistInnen finden die mangelnde Distanz problematisch. Ein erstaunlicher Wert der Selbsterkenntnis, könnte man meinen. Ob bei den 73 Prozent wirklich keiner dabei ist der mal mit dem Herrn Landesrat beim Heurigen sitzt oder sich von der Frau Spitzenkandidatin auf ein Schnitzerl einladen lässt, steht auf einem anderen Blatt.

  • Immer weniger investigative Recherche?

Auch das ist, traurig aber wahr, kein großes Geheimnis. Nur zehn Prozent der Befragten sind mit der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit für Recherche "sehr zufrieden", Einsparungen, Zeit- und Quotendruck sind in österreichischen Redaktionen keine Seltenheit. Während JournalistInnen ihrer Kontrollfunktion hohe Bedeutung zumessen, finden zugleich nur 21 Prozent, dass die Bedeutung des investigativen Journalismus zunimmt.

  • Parteiisch statt Objektiv?

Um in Österreich auf Gesinnungsjournalismus zu stoßen, muss man nicht lange suchen. Der Kampagnenjournalismus der Kronen Zeitung ist zwar "Vorzeigebeispiel", aber nicht das einzige. Wobei Politikjournalismus mit einer ausgeprägten Meinung ja nicht problematisch ist, wenn die Trennung zwischen Bericht und Kommentar beachtet wird. 97 Prozent der Befragten halten „Kritik an Missständen" für ein zentrales Element ihrer Rolle, 60 Prozent die Vermittlung "positiver Ideale" – und das sind Eigenschaften, die das Vertreten einer eigenen Meinung voraussetzen, schon alleine was die Definition von „Missstand" oder "Ideal" angeht.

  • Uninteressiert an neuen Medien?

Sowohl was den Publikationskanal als auch was die Recherchewege angeht sind Österreichs PolitikjournalistInnen Traditionalisten. Zwar wird "das Internet" von fast allen als wichtig eingeschätzt, dabei geht es aber vorrangig um die Onlineangebote anderer Medienhäuser. Wenn Suchmaschinen benutzt werden, dann vor allem Google. Twitter, Facebook oder Blogs spielen für die meisten noch eine relative unwichtige Rolle. Aber: Acht von zehn Befragten gaben an, Wikipedia mindestens einmal pro Woche beruflich zu nutzen – eine Entwicklung, die nicht nur die Autoren kritisch bewerten, sondern auch der Politologe Emmerich Talos, der in einem Exkurs im Buch Wikipedia auf den Wert der publizierten Infos in einem seiner Forschungsbereiche, dem Austrofaschismus, prüfte. Das Ergebnis laut Talos: Dürftige und zum Teil "inhaltlich verzerrte" Einträge.

Österreich taucht durch: "Hurra, wir leben noch"

Wie geht es also Österreichs PolitikjournalistInnen? Die Strukturveränderungen der Medienbranche, die Weltwirtschaftskrise: In der österreichischen Branche, so die Conclusio bereits im Vorwort des Reports, herrsche "allemal Irritation". Aber: "Österreichs Medien und Journalisten tauchen irgendwie durch. Hurra, wir leben noch. Aber wie viel autonomer Spielraum bleibt für selbstbewusste Publizistik?" Auf diese – zugegeben sehr komplexe – Frage gibt der "Journalistenreport" nur bedingt Antworten, wohl auch weil der Spielraum stark mit der Art des Beschäftigungsverhältnisses und dem jeweiligen Medienhaus zusammenhängt und sich diese Ergebnisse schwer vereinheitlichen lassen.

Während die Kapitel zur Selbsteinschätzung der Befragten, die auf der empirischen Studie beruhen, informativ, gut belegt und relevant sind, wirken manche Teilthemen etwas willkürlich ausgewählt, zu Lasten relevanter Aspekte, die nur am Rande vorkommen. So wichtig die Frage nach der Relevanz von Wikipedia oder der "Europabezogenheit" österreichischer JournalistInnen auch ist, was etwas zu kurz kommt sind Zukunftsfragen.

In den Kinderschuhen

Der Online-Aspekt wird zwar insofern abgehandelt, als Onlinerecherche thematisiert wird, über die Möglichkeiten sich als Politikjournalist multimedial zu betätigen und online zu publizieren, über die Chancen und Risiken der Crossmedialität, die sich verändernden Arbeitsweisen wird nur wenig geschrieben. Aber Online-Politikjournalismus steckt, das sei den Autoren zu Gute gehalten, bei uns – anders als etwa in den USA – auch noch in den Kinderschuhen. Umso sinnvoller wäre es, sich damit wissenschaftlich zu befassen – Jetzt, und nicht erst dann wenn auch der "Mainstream"-Journalist merkt, dass sich sein Beruf unwiderruflich verändert. Wikipedia-Bashing ist so "last season", auch wenn es Berechtigung hat. (Anita Zielina, derStandard.at, 20.7.2010)