Seit Tagen irritiert Venezuelas Präsident Hugo Chávez mit dem Aufschrei, er erwarte einen Krieg mit dem Nachbarland Kolumbien. Dass er ihn selbst beginnt, trauen dem Ex-Soldaten und Sozialrevolutionär Chávez aber nicht einmal seine Feinde zu. Trotz erhöhter Rüstungsausgaben hat Venezuela nur knapp 70.000 Mann unter Waffen, während Kolumbien eine dreimal so große, seit Jahren im Kampfeinsatz stehende Armee unterhält.

Kolumbiens rechter Präsident Álvaro Uribe, der nun aus dem Amt scheidet, warf Chávez ja vor, er gewähre geflüchteten kolumbianischen Farc-Guerilleros Schutz. Chávez bestreitet das und behauptet, Kolumbien und die USA wollten ihn angreifen. Für die US-Regierung ist es wohl auszuschließen, dass sie sich noch einen weiteren Krieg aufhalsen will. Und Kolumbiens neuer Präsident Juan Manuel Santos hat Angriffsabsichten mehrfach dementiert.

Chávez' Verbalattacken könnten deshalb ein „farewell kick", ein Fußtritt zum Abschied des verhassten Uribe sein, wie der britische Guardian schrieb. Zugleich sichern sie Chávez das patriotische Zusammenrücken aller Bürger Venezuelas, wo sich die Opposition für die Parlamentswahlen Ende September gute Chancen ausgerechnet hatte. Und die gefährliche Eskalation könnte Kolumbiens neuen Präsidenten Santos auch dazu drängen, anders als Uribe das Angebot der Farc-Guerilla für Verhandlungen zur Beendigung des langen Bürgerkriegs in Kolumbien anzunehmen.  (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2010)