Große Mausohr-Fledermäuse mit dem "Weißnasen-Syndrom". Die Pilzbesiedlung ist an Nase und Flügeln deutlich zu sehen.

Foto: Andreas Kiefer, NABU Rheinland-Pfalz

Washington - "Das ist eines der schlimmsten Wildtierdesaster, das wir je in Nordamerika hatten", sagt Winifred Frick von der kalifornischen Universität Santa Cruz. Ausgelöst wurde die Krise durch einen vor vier Jahren entdeckten Pilz (Geomyces destructans), der bereits mehr als eine Million Fledermäusen dahingerafft hat, berichtet die Biologin in einer neuen Studie.

Das sogenannte Weißnasen-Syndrom, bei dem sich ein weißer Pilzbelag auf der Nase der Tiere bildet, befällt ganze Populationen während ihres Winterschlafs in Höhlen, wenn die Abwehrkräfte der Tiere am schwächsten sind. Dadurch werden sie öfters wach und verhungern bereits vor dem Frühjahr.

Warum der Pilz ausgerechnet jetzt zuschlägt, wissen die Forscher (noch) nicht. Klar ist nur, dass er Temperaturen um 15 Grad bevorzugt - und dass sich die tödliche Krankheit rasend schnell über Nordamerika verbreitet und bereits sieben Fledermausarten befallen hat, wie Frick und ihre Kollegen in der heutigen Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift Science (Bd. 329, S. 679).

Die Kleine Braune Fledermaus , früher eine der häufigsten Arten in den USA, könnte im Osten des Kontinents bald ganz verschwunden sein, so die Forscher. Die Wahrscheinlichkeit dafür betrage 99 Prozent für die nächsten 16 Jahre, haben die Wissenschafter um Frick hochgerechnet

Das Weißnasen-Syndrom ist längst auch in Europa aufgetaucht, wie eine gemeinsame Studie von Forschern aus Deutschland, der Schweiz, Ungarn und Großbritannien kürzlich gezeigt hat. Es fanden sich auch alte Aufzeichnungen, die belegen, dass der Pilz bereits seit mindestens 25 Jahren in Deutschland auf winterschlafenden Fledermäusen gesichtet wurde - allerdings ohne gravierende Folgen.

"Bisher scheint der Pilzbefall keinen tödlichen Einfluss auf hiesige Fledermausarten gehabt zu haben", erklärt Projektleiterin Gudrun Wibbelt vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Das Team um Wibbelt untersuchte Proben von mehr als 350 Fledermaus-Winterquartieren in verschiedenen europäischen Ländern. Ergebnis: Bei nur 21 Tieren wurde der Pilz nachgewiesen. In den USA seien dagegen bereits mehr als eine Million Tiere an dem Pilz gestorben.

Für Österreich besteht keine Gefahr: Laut der Veterinärmedizinischen Universität Wien gab es bisher weder einen Befall noch Tiere, die an dem tückischen Pilz gestorben sind.

Ökologisches Desaster

Die Biologen mutmaßen deshalb, dass der Pilz vielleicht sogar aus Europa stammt und die europäischen Fledermäuse über Jahrtausende Abwehrmechanismen entwickeln konnten. Übertragen über Sporen, die an Menschen hafteten, könnte er die nordamerikanischen Fledermäuse völlig unvorbereitet getroffen haben.

Das dadurch entstandene und sich weiter verschärfende ökologische Desaster wird dabei weit über die Fledermäuse hinausgehen, prophezeien die Forscher: Die nachtaktiven Tiere bestäuben nämlich Pflanzen, verbreiten Samen, indem sie deren Früchte fressen, und vertilgen Unmengen von Insekten.

Breitet sich das große Fledermaussterben weiter aus, ist daher mit einem explosionsartigen Anstieg von landwirtschaftlichen Schädlingen und auch krankheitsübertragenden Moskitos zu rechnen. Und das wiederum hätte ungeahnte indirekte Folgen für den Menschen. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 06.08.2010)