Nimmt man Maria Fekters Worte ernst, hätte Arigona Zogaj gar nicht ausreisen dürfen. Denn die 18-Jährige spricht Deutsch, und sie will Krankenschwester werden - also in einem Bereich arbeiten, für den in Österreich schon jetzt dringend Arbeitskräfte gesucht werden. Es grenzt schon fast an Zynismus, dass die Innenministerin wenige Wochen nach der erzwungenen Rückkehr der Familie Zogaj eine Deutschpflicht vor einem Zuzug nach Österreich fordert und die ebenfalls zur ÖVP gehörenden Minister Michael Spindelegger und Reinhold Mitterlehner Zuwanderung wegen Fachkräftemangels in Österreich verlangen. Aber immerhin: Es bewegt sich etwas in Österreich. Die ÖVP versucht, mit einem Kuschel-Härte-Kurs die ganze Bandbreite abzudecken: Fekter gibt die Hardlinerin, Spindelegger den Weltoffenen.

Dass sich Spindelegger mit seinem Vorstoß, man brauche in den nächsten Jahren eine Zuwanderung von 100.000 Menschen, überhaupt vorgewagt hat, liegt nicht zuletzt an Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Seit Jahren wird dort nicht nur geredet. Die beiden Institutionen haben gemeinsam mit der International Organisation for Migration ein Konzept mit dem Titel "Zuwanderung gestalten - ein zukunftsorientiertes Migrationsmodell" ausgearbeitet und einen Leitfaden für "Integration in Unternehmen: Vielfalt managen" erstellt.

So weit sind Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer noch nicht. AK-Chef Herbert Tumpel gibt die Linie in der SPÖ vor und erinnert mit seiner Rhetorik an Fekter und Heinz-Christian Strache. Tumpel will zuerst die Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes für osteuropäische Arbeitskräfte im Mai 2011 abwarten und erst dann über Zuwanderung reden.

Deutschland und Österreich sind die einzigen EU-Länder, die die Fristen zur Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den damals neuen EU-Beitrittsstaaten voll ausgeschöpft haben. Konfrontiert mit der gleichen Situation, läuft die Debatte beim Nachbarn anders: In Deutschland wollen Arbeitgeber explizit junge Menschen aus Osteuropa anwerben, damit sie eine Lehre in Deutschland absolvieren. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sprach sich sogar für eine "Anlockprämie" für ausländische Fachkräfte aus.

Vergangene Woche hat das von SPD und Linke regierte Berlin als erstes deutsches Bundesland ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht. Es sieht vor, dass bei Bewerbungen Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz besondere Qualifikationen sind, und soll zum Ziel haben, dass Zuwanderer in der Berliner Verwaltung genauso stark vertreten sind wie in der Bevölkerung - etwa 25 Prozent haben einen Migrationshintergrund. In ganz Deutschland sind es 19,6 Prozent, in Österreich 17,8 Prozent.

In Österreich haben die derzeit regierenden Politiker nicht den Mut, ein kohärentes Zuwanderungs- und Integrationskonzept vorzulegen, sondern betreiben - aus Angst vor den Boulevardmedien und der FPÖ - eine Abschottungs- und Abschreckungspolitik. Warum sollten politisch erwünschte Zuwanderer - also deutschsprechende Fachkräfte - eigentlich nach Österreich kommen? Ihre Familien will Fekter schon nicht mehr im Land haben.

Die Bewegung in der Zuwanderungsfrage ist rhetorischer Natur: Bei der Umsetzung werden so viele Bedingungen gestellt, dass weiterhin gilt: Ausländer sind nicht willkommen. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD, Printausgabe, 11. August 2010)