Justizministerin Claudia Bandion-Ortner und Strafverteidiger Wolfgang Mekis sind sich früher im Landesgericht Wien oft über den Weg gelaufen - sie damals als Richterin, er als Staatsanwalt.

Foto: Standard/Corn

Wolfgang Mekis: "Das Ministerium hat durchblicken lassen, was gewünscht ist. Wer nicht gehorcht hat, war den Akt los."

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Claudia Bandion-Ortner: "Ich vertraue allen Staatsanwälten in Österreich. Ich lasse mir die Justiz nicht schlechtreden."

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Standard: Trotz sinkender Strafanzeigen steigen U-Haft-Verhängungen. Warum landet man in Österreich so leicht im Gefängnis?

Bandion-Ortner: Das wird wohl an der Qualität der Ermittlungsarbeit liegen beziehungsweise an der Tatsache, dass es immer mehr Fälle mit Auslandsbezug gibt, wo die Gefahr von Fluchtgefahr gegeben ist. Aber das Instrument der elektronischen Fußfessel wird U-HaftZahlen reduzieren.

Standard: Machen sich steigende U-Haft-Zahlen auch aus der Sicht des Strafverteidigers bemerkbar?

Mekis: Der Trend stimmt sicher. Aber so wie ich unsere Richterschaft kenne, werden elektronische Fußfesseln gerade bei ausländischen Verdächtigen keine Entspannung in der U-Haft bringen. Wenn jemand fliehen will, wird ihn auch dieses Instrumentarium nicht hindern.

Bandion-Ortner: Voraussetzung sind ja soziale Anbindungen der Betroffenen im Inland. Mehr greifen soll die elektronische Fußfessel aber bei Strafhaften, und zwar zur Vermeidung von kurzen Gefängnisaufenthalten.

Mekis: Aber wird sich das alles, wie geplant, bis 1. September ausgehen? Wir haben ja noch nicht einmal das Gesetz. Gibt es schon intern die Verordnung?

Bandion-Ortner: Es ist alles auf Schiene, 1. September ist fix.

Mekis: Das freut mich, allein ich hab ein Dutzend Kandidaten.

Standard: Ist auch Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner ein Kandidat?

Bandion-Ortner: Rein theoretisch: ja. Für die praktische Entscheidung bin ich aber nicht zuständig, das obliegt dem zuständigen Richter. Ich hab mit dem Verfahren absolut nichts mehr zu tun.

Standard: Dennoch werden Sie als Justizministerin manchmal dafür verantwortlich gemacht, dass sich Elsners Gesundheitszustand verschlechtert, weil er schon so lange in U-Haft ist.

Bandion-Ortner: Noch mal, ich entscheide nicht über eine Enthaftung, ich kann nicht einmal irgendeine Empfehlung abgeben. So weit ich, wie Sie wahrscheinlich auch, über die Medien gehört habe, hat das Oberlandesgericht ein medizinisches Gutachten in Auftrag gegeben. Zur Länge der Haft muss man aber auch anmerken, dass zweieinhalb Jahre davon eine mittlerweile verbüßte Strafhaft sind.

Standard: Im Zusammenhang mit der Buwog-Causa und den Haider-Konten gibt es massive Kritik an der Justiz. Sind Sie mit den Staatsanwaltschaften zufrieden?

Bandion-Ortner: Ich vertraue den Staatsanwaltschaften in ganz Österreich. Es wird akribisch an der Aufklärung der Sachverhalte gearbeitet. Es ist das erste Mal, dass Teams von Staatsanwälten ermitteln, nämlich in Wien in der Buwog-Immofinanz-Constantia-Affäre vier Staatsanwälte, in der Hypogeschichte drei. Wenn wir nicht täglich über Ermittlungsschritte informieren, heißt das nicht, dass nichts geschieht. Mich ärgert es sehr, dass man daraus den Schluss zieht, dass Staatsanwaltschaften untätig sind.

Standard: Dass ein Staatsanwalt eine Anzeige gegen einen Minister vergisst, ist aber kein Tätigkeitsbeweis.

Bandion-Ortner: Wahrscheinlich wird mir dieser Fall in zehn Jahren auch noch vorgehalten. Natürlich passieren Fehler, und darauf wird auch reagiert. Aber aus Einzelfällen ein negatives Szenario zu machen, das haben 11.000 Mitarbeiter der Justiz nicht verdient. Ich lass mir die Justiz nicht schlechtreden.

Standard: Im Zusammenhang mit Politfällen ist die Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte brisant. Warum halten Sie so daran fest?

Bandion-Ortner: Als Richterin und Standesvertreterin habe ich auch für die Abschaffung gekämpft. Aber in der Zwischenzeit hat sich Entscheidendes geändert. Das Weisungsrecht wurde transparenter, Weisungen müssen schriftlich ergehen und dem Parlament berichtet werden. Ein Missbrauch ist praktisch ausgeschlossen.

Standard: Herr Mekis, haben Sie während Ihrer Zeit als Staatsanwalt je eine Weisung erhalten?

Mekis: Das war gar nicht notwendig, denn das Ministerium hat unverhohlen durchblicken lassen, was gewünscht ist. Und wenn man nicht gehorcht hat, war man den Akt los. In einem speziellen Fall wurde mir der Akt abgenommen und zur Finalisierung an die Oberstaatsanwaltschaft geschickt.

Standard: Welcher Fall war das?

Mekis: Das darf ich aus Gründen der Amtsverschwiegenheit nicht sagen. Aber was ich sagen will: Nicht das Weisungsrecht ist das Problem, denn es gibt eben andere Möglichkeiten, einen missliebigen Staatsanwalt auszuschalten. Auch der vorauseilende Gehorsam spielt natürlich eine Rolle.

Bandion-Ortner: Die heutigen Staatsanwälte haben ein derartiges Selbstbewusstsein, dass sie, selbst wenn sie wüssten, dass ich bestimmte Präferenzen hätte, nicht darauf reagieren würden. Die Transparenz von Entscheidungen soll aber noch verstärkt werden. Im Herbst wird es außerdem ein Paket geben, das mehr Kompetenz in Wirtschaftsstrafsachen und neue strafrechtliche Instrumente wie die Kronzeugenregelung bringen wird.

Mekis: Was ich nie eingesehen habe, sind die sogenannten Vorhabensberichte. In brisanten Fällen muss der Staatsanwalt ja berichten, was er vorhat. Und die Ministerin oder der Minister muss das genehmigen, manchmal geht es dabei sogar um Anklagen. Zu meiner Zeit als Staatsanwalt hat die Ressortführung davon oft Gebrauch gemacht.

Bandion-Ortner: In wenigen Fällen sind Vorhabensberichte vorgeschrieben. Das ist die Fachaufsicht, um einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten.

Standard: Wie viele solcher Vorhabensberichte liegen derzeit auf Ihrem Schreibtisch?

Bandion-Ortner: Kann ich nicht genau sagen. Pro Jahr sind es rund 200, und im Ministerium haben wir dafür nur fünf Leute. Weil Strafsachen bevorzugt werden, kann es in anderen Fällen ein wenig dauern. Aber grundsätzlich geht es eben nicht nur um Schnelligkeit, sondern auch um Qualität. Das sollte auch einmal ein Herr Kräuter akzeptieren (SP-Geschäftsführer Günther Kräuter hat in der Haider-Konten-Affäre ein Ultimatum bis Herbst gesetzt und droht mit einem U-Ausschuss; Anm.).

Standard: Oft entstehen längere Verfahren aber auch aus Personalmangel. Wurde die große Strafprozessreform 2008 ohne entsprechende Besetzung durchgezogen?

Bandion-Ortner: Man kann sicher davon ausgehen, dass damals bei der Reform des Vorverfahrens der Personalbedarf unterschätzt wurde. Aber wir haben schon gewaltig aufgeholt, heute gibt es so viele Staatsanwälte wie noch nie. Wir haben als einziges Ressort jetzt 151 Planstellen dazubekommen.

Mekis: Im Vergleich zu meiner Zeit als Anklagevertreter wurde das Personal bei der Wiener Staatsanwaltschaft verdoppelt. Trotzdem hab ich jetzt als Strafverteidiger einige Fälle, die auffallend lange dauern. Reicht da eine Aufstockung von insgesamt 150 Leuten aus?

Bandion-Ortner: Es gibt zusätzlich auch bürokratische Entlastungen. Und man darf auch nicht vergessen, dass die jungen, engagierten Staatsanwälte, die vor zwei Jahren angefangen haben, immer routinierter werden. Die StPO-Reform hat die Arbeit der Staatsanwälte grundlegend verändert, sie leiten ja von Anfang an die Ermittlungen.

Mekis: Aber sie können sich unmöglich jeden Tatort anschauen, die Sicherheitsbehörden erledigen immer noch einen Großteil. Was macht eigentlich ein Staatsanwalt, wenn die Polizei nicht gut arbeitet?

Bandion-Ortner: Sich hoffentlich sofort an den Behördenleiter wenden. Am Anfang gab es ja auch Probleme in der Zusammenarbeit, aber das hat sich stark verbessert. Für die Kärntner Hypo-Ermittlungen gibt es beispielsweise eine Sonderkommission mit 17 Polizeibeamten, die den drei zuständigen Staatsanwälten zuarbeiten. Das ist also ein größeres Hypo-Team als in Bayern, weil dort immer die Rede von sieben Staatsanwälten ist.

Mekis: Mit der Verspätung des Budgetentwurfes kündigt sich ein Verfassungsbruch an. Kann die Justizministerin als Mitglied der Bundesregierung da zusehen, oder muss sie sich übers Weisungsrecht selbst anklagen?

Bandion-Ortner: Ich werde mir einen guten Verteidiger nehmen. Nein, im Ernst: Es wird heuer ein sehr schwieriges Budget, und ich halte es mit den Worten des Herrn Bundespräsidenten: Ob von einem Verfassungsbruch die Rede sein kann, ist umstritten. Es gibt ja auch Bestimmungen, die den Fall regeln, wenn nicht zeitgerecht ein Budget vorgelegt wird.

Standard: Herr Mekis, auf Ihrer Homepage zitieren Sie Graham Chapman mit den Worten: "Erfahrene Juristen bezeugen, dass es vor Gericht von Vorteil ist, wenn man im Recht ist." Ist Recht auch immer Gerechtigkeit?

Mekis: Na ja, das sind zweierlei Paar Schuhe. Gerechtigkeit ist etwas Relatives. Aber gerade für einen Verteidiger, der für einen Mandanten kämpft, gibt es nichts Schöneres, als wenn Gerechtigkeit und Recht zusammenfallen.

Standard: Warum werden, wie in anderen Ländern, Gerichtsverhandlungen nicht live im Fernsehen übertragen?

Bandion-Ortner: Verfahren öffentlich zu halten ist wichtig. Aber die Wahrung von Persönlichkeitsrechten muss mehr wert sein als Einschaltquoten. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Richter und Staatsanwälte sind keine Showmaster.

Mekis: Ich glaube auch, dass TV-Kameras im Gerichtssaal mit unserem Verständnis von einem fairen Verfahren unvereinbar sind. Was aber zweckmäßig und teilweise vorhanden ist, sind akustische Mitschnitte von Verhandlungen für interne Zwecke. Denn aus einem schriftlichen Protokoll geht nicht hervor, welcher Ton in der Verhandlung angeschlagen wurde. Das kann eine Rolle spielen.

Standard: Frau Minister, haben Sie manchmal Sehnsucht nach dem Grauen Haus? Immerhin haben Sie im großen Schwurgerichtssaal geheiratet.

Bandion-Ortner: Wenn ich vor meiner Hochzeit geahnt hätte, dass ich danach noch so viele Tage im großen Schwurgerichtssaal (als vorsitzende Richterin im Bawag-Prozess, Anm.) verbringen würde, hätte ich wahrscheinlich woanders geheiratet. Aber grundsätzlich war ich immer gerne Richterin, ich hab das Richterblut in mir, ich bin ja auch noch Richterin, nur eben freigestellt. Mir macht aber auch meine jetzige Funktion als Justizministerin viel Freude. Unter anderem deswegen, weil ich jetzt mithelfen kann, das, was mir eben als Richterin schon unangenehm aufgefallen ist, zu ändern. Die Geschworenengerichtsbarkeit ist zum Beispiel längst reformüberfällig, weil die Laienrichter in zunehmendem Maß mit den komplizierter gewordenen Gesetzen überfordert sind. (Michael Simoner, DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2010)