Wien – Die Welt, in der sich Catherine (Julianne Moore) bewegt, ist wohlgeordnet. Die Gynäkologin hat einen fast erwachsenen Sohn, ihre Ehe mit einem Literaturwissenschafter scheint harmonisch. Und trotzdem wirkt Catherine nicht nur hinter der Glasfront ihrer modernen Villa ein wenig abgetrennt vom Leben.

Catherine und die Irritationen, die an ihr nagen, stehen im Zentrum von "Chloe". Das jüngste Werk von Regisseur Atom Egoyan ist das kanadische Remake des französischen Thrillers "Nathalie" von Anne Fontaine aus dem Jahr 2003. Damals wurde zwischen Emmanuelle Béart, Fanny Ardant und Gérard Depardieu ein nur vermeintlich durchschaubares Beziehungsdreieck ausgelegt. Nun besetzen Hollywood-Jungstar Amanda Seyfried, Julianne Moore und Liam Neeson deren Positionen. Letztere spielen das gut situierte Akademikerpaar.

Deal mit Folgen

Nach einer missglückten Überraschungsparty verdächtigt Catherine ihren Ehemann des Betrugs und engagiert aus einem Impuls heraus ein Callgirl: Chloe (Seyfried) soll sich mit David (Neeson) bekanntmachen und Catherine anschließend darüber Bericht erstatten, wie weit ihr Mann sich daraufhin vorwagt.

Sehr schnell ist nicht mehr klar, wer hier wen verführt und aus welcher Motivation handelt. Die Pragmatikerin Catherine erklärt einmal einer verunsicherten Patientin, ein Orgasmus sei nur eine Muskelkontraktion – in den Begegnungen mit Chloe, der Profigeschichtenerzählerin, zeigt sich aber bald, welche unmittelbare Verbindung zwischen Worten, Vorstellungen und konkreten körperlichen Vorgängen besteht.

Das ist ein Zusammenhang, von dem nicht zuletzt die Geschichtenfabrik Kino profitiert. Dass solche Reflexionen durchschimmern, ist nicht das geringste Verdienst von Regisseur Egoyan. Der hat sich schließlich seit den 80er-Jahren vor allem als Spezialist für eigenwillige, doppelbödige Arbeiten einen Namen gemacht. Mit dem dicht gesponnenen Trauerbewältigungsdrama "Das süße Jenseits" gewann er 1997 den Großen Preis der Jury in Cannes.

Egoyans späteren Filmen fehlte es dann aber immer wieder an Kantigkeit und Biss, das Spiel mit Halbweltschauplätzen und -figuren geriet nicht selten zur Stilübung. Auch "Chloe" kippt leider immer wieder ins Klischee eines handelsüblichen, überspannten Erotikthrillers. Das kann das konzentriert agierende Ensemble nicht verhindern, und daran ist wohl auch die perfekte Ausstattung schuld: Die Kleider und Räume entfalten sinnliche Präsenz, allerdings in einem Ausmaß, das alles zu erdrücken droht. Das mag man als Bild für Catherines Problem interpretieren. Letztlich reduziert es "Chloe" auf modernes Ausstattungskino. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.8.2010)