"Entweder, Sie machen fernöstliche Entspannungstechniken. Oder Sie gehen zu den Wiener Linien": Raimund Korner

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"Werte Fahrgäste! Sollten Sie gerade noch versuchen, in den Zug einzusteigen, und die Person vor Ihnen bewegt sich aus irgendeinem Grund nicht, obwohl noch Platz wäre, dann schubsen sie die betreffende Person ein bisschen an, so ein bisserl auf Wienerisch halt. Ein Mittelweg zwischen ungewollter Liebkosung und zufälligem Körperkontakt, da lässt sich sicher ein Weg finden. Vielen Dank."

Mit Durchsagen wie dieser hat sich Raimund Korner, seit 37 Jahren Fahrer bei den Wiener Linien, eine Menge FreundInnen und eine kleine Minderheit an FeindInnen gemacht. Seine Fangemeinde auf Facebook zählt mittlerweile 7.300 Menschen. In drei Jahren wird Korner zum letzten Mal seine Lautsprecher-Poesie zum Besten geben. Was er danach vorhat, wie er die Gestirne wahrnimmt und warum ihm die alte U2 "auf die Socken" ging, erzählt er im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Herr Korner, Sie sind seit über dreißig Jahren U-Bahn-Fahrer. Wollten Sie nicht Lehrer werden?

Raimund Korner: Ja, aber das ist versandet. Ich hab` beim Studium relativ bald einen Nebenjob gehabt, als Bimfahrer. Ich habe das erste Mal im Leben Geld gehabt, das war natürlich sehr verlockend, und ich bin immer mehr gefahren und immer mehr, und irgendwann habe ich einen Brief nachhause geschrieben: "Jetzt bin ich ganz bei den Verkehrsbetrieben." Zwei Stunden später war meine Mutter da und hat mir eine Schallende von hinten verpasst. Die Eltern haben sieben Jahre gebraucht, bis sie es akzeptiert haben. Das sind ganz normale Hackler lupenrein proletarischer Herkunft. Ich war ein Einzelkind, und sie haben sich schon sehr bemüht, dass aus dem Buben was wird. Aber der hat andere Pläne gehabt.

derStandard.at: Heute sind Sie der Popstar der Wiener U-Bahn-Fahrer – ihre Facebook-Fanseite hat mehr als 7000 UnterstützerInnen.

Korner: Ein Goscherter halt.

derStandard.at: Sie haben vor längerer Zeit begonnen, aus drei Routinewörtern schön ausformulierte Sätze zu basteln. Wie kam das?

Korner: Ich habe den Frust oft mit heimgenommen, und das ist noch Stunden weitergegangen. Dann hab ich einmal angefangen, einen Werbespruch umzuformen, und gesagt, sie sollen die möglichen unerwünschten Nebenwirkungen des Hineinspringens beachten. Da hab ich gemerkt, da kommt Heiterkeit auf, die Leute sagen „Super, Oida", und da hab ich gedacht: Okay, das hilft mir, und ein paar von den Fahrgästen auch. Und so ist das mehr und mehr geworden.

derStandard.at: Mittlerweile gibt es im Internet schon ein „Best of" Raimund Korner. Wie oft melden Sie sich zu Wort?

Korner: Gestern hab ich mir den Mund wieder fusselig geredet. Ich weiß nicht, wie die aktuelle Mondphase ist, aber das hat schon einen Einfluss. Ich hab mit den Gestirnen im Sinne von der Gerda Rogers überhaupt nix am Hut, aber das ist schon eine Häufung, die auffällt. Drei, vier Tage nach dem Vollmond ist es ganz arg. Gestern haben sich wahnsinnig viele Leute nicht gekümmert um das berühmte „Zug fährt ab", und sind nachher noch reingerannt. Das kann schlecht ausgehen. Da hänge ich auch mit drinnen, muss mich vor den Richter stellen, und die sind vielleicht schwer verletzt, oder wenn es blöd hergeht, sogar tot.

Bei den neuen Garnituren gehen die Türen wieder auf, und dann fängt der ganze Vorgang von vorne an. Da haben Sie auf U4 Landstraße Normaufenthalt 20 Sekunden, und das wächst sich dann aus auf zwei Minuten, und die bring ich nie wieder herein. Und die, die dann auf den verspäteten Zug warten, zeigen mir allerlei Sachen, die Uhr ist noch das Schönste. Mittelfinger und alles andere – Sie können sich‘s vorstellen.

derStandard.at: Was ärgert Sie besonders?

Korner: Einmal hat mir jemand eine Zeitung vor die U-Bahn geschmissen, in den Gleistrog. Das empfinde ich wirklich als tiefen persönlichen Angriff. Dem ist das wurscht, das weiß ich schon. Nur: Ich bin kein Mistkübel, und so komm ich mir vor, wenn er das macht. Egal, was die reinhauen, es fällt ihnen ja allerhand aus den Händen, den lieben Tag lang. Aber ich habe ihm per Durchsage erklärt: "Mir ist lieber, Sie kommen nach vorn, treten mir die Tür ein, hauen mir die Zeitung hinein und sagen: ‚Oida, hau's weg für mi.‘" Fulminanter Erfolg.

derStandard.at: Haben Sie schon einmal betriebsintern für Aufregung gesorgt?

Korner: Ja, schon. Einmal habe ich es gewagt, die österreichische Drogenpolitik etwas in Zweifel zu ziehen. Das war natürlich kontraproduktiv. Das hat ein Fahrgast gehört und hat einen langen Beschwerdebrief geschrieben. Da habe ich einen dicken schwarzen Punkt gekriegt. Aber das war‘s eigentlich.

derStandard.at: Worum ging es bei Ihrer Kritik?

Korner: Wir sind ja jeden Tag mit ihnen konfrontiert, mit den Abhängigen. Die leben in einer anderen Welt. Die laufen einander nach, kaufen, verkaufen, und passen natürlich nicht auf, bleiben in der Tür stehen, das stört furchtbar. Aber ich anerkenne die Realität, das ist ein irrsinnig schwieriges Problem. Ich habe auch keine Lösung parat. Aber es ist schon arg.

derStandard.at: Haben Sie jemals eine Durchsage-Pause eingelegt?

Korner: Nur einen Tag lang. Ich schaffe es nicht länger. Manche werfen mir vor, ich höre mich gern reden, und ich möchte das nicht ganz von mir weisen. Aber ich mache es hauptsächlich, weil dann die Rückmeldungen kommen. Die Jungen sind da ein Wahnsinn, die klopfen während der Fahrt und sagen: „Kann ich bitte ein Autogramm?"

derStandard.at: Überlegen Sie manchmal, wieder zur Straßenbahn zu wechseln?

Korner: Ich bin sehr froh, dass ich da unten bin, in meiner geschützten Werkstätte. Der ideale Straßenbahnfahrer ist ein Phlegmatiker, der ist mit Gleichmut ausgestattet. Ich hab' von allem Möglichen eine ganze Menge, aber Gleichmut? Beim Reden geht's, da bemühe ich mich. Da heißt es oft: "Super, der ist cool, da ist ihm einer fast reingehüpft in den Zug, und der redet da dahin wie beim Feuilleton auf Ö1." Das ist vielleicht nicht ganz ehrlich, aber wirksam.

derStandard.at: Sie sind kein Phlegmatiker, was sind Sie? Choleriker?

Korner: Ich habe sehr viel dazu gelernt in den dreißig Jahren. Sie haben mehrere Möglichkeiten, wenn Sie ein geduldiger Mensch werden wollen. Entweder Sie machen fernöstliche Entspannungstechniken, oder Sie gehen zu den Wiener Linien für ein paar Jahrzehnte. Dort müssen Sie es lernen, weil sonst bleiben Sie über.

derStandard.at: Schreiben Sie sich Ihre Ansagen vorher auf?

Korner: Nein, ich hab überhaupt kein Konzept. Spontan geht es am besten. Ich bin mit Begeisterung SPIEGEL-Leser, seit meinem 14. Lebensjahr, und die haben so eine schnoddrige Schreibe, das gefällt mir einfach. Ich denke, dass Lesen schon etwas bringt. Trotzdem kann nicht ein jeder reden, das ist mir schon klar, aber ich bin halt auch im Wirtshaus aufgewachsen.

derStandard.at: Haben Sie Bühnen-Erfahrung?

Korner: Ich war als 14-Jähriger im Kolpingsaal in Braunau bei einem Krippenspiel der Josef. Ich war aber leider in die Maria verliebt. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich so einen Hänger gehabt habe. Furchtbar. Peinlich.

derStandard.at: Ein Redaktionskollege möchte gerne wissen, was Sie frühstücken – Sie seien morgens so gut gelaunt.

Korner: Müsli manchmal. Ich bin aber kein Morgenmuffel. Ich steh zwar wahnsinnig schwer auf, aber dann bin ich wach. Meine Freundin hat mir einen super Wecker geschenkt, der erinnert an die Schulglocke, Große Pause, da stehe ich wie eine Kerze im Bett, das passt.

derStandard.at: Was halten Sie von der Nacht-U-Bahn?

Korner: Gar nix. Ab zehn Uhr abend wird es stündlich schlechter. Da sind die Angeheiterten, die sagen: "Jetzt samma lustig, jetzt gelten die Regeln nicht." Dem Richter ist das aber wurscht, wenn dann was passiert. Ja, das wird ein buntes Volk sein in der Nacht. Ich brauch die Nacht-U-Bahn nicht, ich fahr sowieso mit dem Rad.

derStandard.at: Halten Sie den AutofahrerInnen dann auch spezielle Ansprachen?

Korner: Den Autofahrern? Denen weiche ich aus. Ich bin schon so oft gelegen, im Spital auch. Defensive ist angesagt. Ich ärgere mich nur über die Radgenossen, die fahren wie die Schweine, kennen keine Farben, da fahr ich dann schon oft vorbei, aber ganz ruhig, und sag‘: "Alter, gemma auf ein Bier, ich erklär dir die Verkehrsregeln."

derStandard.at: Gibt es eine Großstadt, die Sie gern unterirdisch befahren würden?

Korner: München zum Beispiel. Ich mag das bayerische Reden. Berlin vielleicht auch.

derStandard.at: In Berlin sind die Linien etwas länger als hier.

Korner: Das ist es ja. Ich möchte endlich einmal 35 Kilometer fahren, nicht immer nur 17 oder so. Die alte U2 war ein Horror – 3,2 Kilometer. Ich hab sie gehasst, die alte U2. Die ist mir wirklich auf die Socken gegangen.

derStandard.at: Sie gehen in drei Jahren in Ruhestand. Irgendwelche Pläne?

Korner: Ja: Eine g'scheite Tagesstruktur. Außerdem bin ich frisch verliebt, das sollte reichen für die nächsten vierzig Jahre. (Maria Sterkl, derStandard.at, 12.8.2010)