Als TV-Redakteurin, Referentin und Diskutantin war Gerlinde Schilcher bekannt dafür, gegen jede Form der Frauenunterdrückung aufzutreten. Bei einer TV-Diskussion am 9. März 1984 wehrte sie sich gegen machistische Äußerungen der Teilnehmer.
Video "Der Thai-Mädchen Eklat - Was will der deutsche Mann?", Sendung von Radio Bremen "3 NACH 9"

 

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"In meiner Ehe war ich ein Nichts. Mein Mann selbst hat immer wieder gesagt: 'Du bist ein Nichts und Niemand. Du wirst in deinem Leben keine Spur hinterlassen. Alles, was du bist, bist du nur durch mich'.", schreibt Gerlinde Schilcher in ihrem Buch "Ich bin ich", das 1980 erstmals erschienen ist. Obwohl der literarisch aufbereitete Text unter dem Pseudonym Judith Jannberg publiziert worden ist, blieb der Skandal nicht aus. Mutmaßungen darüber, Gerlinde Schilcher sei die Ehefrau eines bekannten steirischen Politikers und Uni-Professors, führten zu großer Nachfrage und das Buch musste mehrmals aufgelegt werden.

Der Erfolg lässt sich jedoch nicht bloß mit der Bekanntheit Schilchers Ehemann erklären. Denn so subjektiv die Autorin auch – übrigens unter der Federführung von Elisabeth Dessai – über einen langen schmerzhaften Abschnitt ihres Lebens Bilanz zieht, erweist sich ihr Bericht als paradigmatisch für viele Frauenleben. Und das ist wohl ein weiterer Grund für den reißenden Absatz des Buches.

Gerlinde Schilcher erzählt, wie aus der aufgeweckten, unternehmungslustigen und überall beliebten Judith eine deprimierte, untertänige und schrittweise auf allen Ebenen von ihrem Ehemann abhängige dreifache Mutter und Ehefrau geworden ist. "Mit 22 war ich kreativ und eigenständig. Aber dann habe ich geheiratet und bin in einem unheimlich schleichenden Prozess die Frau geworden von ..., das Zubehör von ..., das Anhängsel von ...". Den Launen ihres Mannes ausgeliefert, von ihm geschlagen und psychisch terrorisiert, drohte sie zu zerbrechen. Bis sie beginnt, die "Blutspenden" mit denen sie ihn genährt und gestärkt hatte, für sich selbst zu verwenden. Nach einem mühseligen Ablösungsprozess und der Scheidung bricht sie in ein ganz und gar anderes Leben auf.

"Ich bin eine einzige Wunde": Der Anfang vom Ende

Geplant war das absolut nicht gewesen. Als Judith sich mit 22 zum ersten Mal einem Mann hingibt, wird sie prompt schwanger. Dabei hatte sie "es" nur getan, um ihr negatives Image als "Neutrum" loszuwerden und nicht als "alte Jungfer" zu enden. Sie selbst hatte sich als "asexueller Kumpel" wohl gefühlt. Überall beliebt, sozial und sportlich überaus aktiv war die junge Heimerzieherin glücklich und geachtet. Auch Wolfgang bewundert ihr Geschick und ihr Temperament. Er scheint sie wirklich zu schätzen, sie vertraut ihm. Mit ihm kann sich das ehemalige Heimkind eine "richtige Familie" vorstellen.

Doch die Zufriedenheit währt nur kurz. Nicht nur, dass Wolfgang schon bald nach der Heirat ihre totale Unterordnung verlangt und ihr vorschreibt, mit welchen Leuten sie Kontakt haben darf, auch seine Bewunderung für sie wendet sich bald ins Gegenteil. Sie komme "aus der Gosse", sei nichts wert und hässlich. Abends bleibt er immer öfter weg. "Ich habe es lange nicht wahrhaben wollen, dass er mich sexuell betrog. Ich habe mich entsetzlich geschämt, und ich habe mich schuldig gefühlt", wie eine "verheiratete Hure". Nachts kann sie nicht mehr schlafen, kreisende Ringe scheinen sie zu ersticken, Herzschmerzen.

"Mir ist zunehmend bewusst geworden, dass mein Mann sich auf meine Kosten entwickelte: Ich bin angebunden, weil er frei ist. Ich verdiene den Lebensunterhalt, und er bildet sich. Ich hüte das Kind, und er amüsiert sich. Ich mache den Haushalt, und er macht Karriere". Insgeheim denkt sie an Trennung, aber sie begehrt nicht auf. Der Schwur ihrer Mädchenzeit, einmal eine "richtige Familie" zu haben, ist stärker.

"Betäubung": Aufenthalt im Weiblichkeitswahn

Nachdem sich Wolfgang dem Ende seines Studiums nähert, braucht er Ruhe zum Lernen. Er baut seine Geliebten ab, schwört ihr, dass nun alles anders werden würde, ein Neubeginn. Sie glaubt ihm. Gerlinde Schilcher beschreibt im Kapitel "Betäubung", wie sie sich in das Weiblichkeitsideal eingefügt hat. Judith versucht, eine aufopfernde, brave, anspruchslose Ehefrau und Mutter zu sein, die auch ihre Repräsentationspflichten glänzend erledigt. Wolfgang gefällt es, wenn er um seine "attraktive Gattin" beneidet wird. Inzwischen ist sie die "Frau Doktor Manmann", zwar ohne eigene Identität, aber angesehen. Alles scheint "normal" zu sein, sie wünschen sich sogar ein zweites Kind. Kurz darauf kommt ungeplant das dritte. Wolfgang ist zufrieden: "Wir sind eine glückliche Familie".

"Vernichtung": Die Gewaltspirale beginnt

Doch auch diese Phase dauert nicht lange. Eine wahnsinnige Zeit beginnt, die von der Autorin als "Vernichtung" bezeichnet wird. Mit drei kleinen Kindern kann sie nicht mehr berufstätig sein, und der Umzug in ein Hochhaus am Stadtrand verschärft ihre isolierte Situation. Unterstützung hat sie keine. Aus Angst vor einer weiteren Schwangerschaft verweigert sie sich sexuell immer öfter, woraus er sein "Recht" ableitet, mit anderen Frauen zu schlafen. Er beschimpft sie erneut: "Du bist ein Nichts und Niemand", nennt sie dumm und einfältig, obwohl sie es ist, die seine Vorträge Korrektur liest und fruchtbare Anmerkungen macht, die er gerne aufnimmt.

Zu ihrer Überraschung sind diese Vorträge "gespickt mit Begriffen wie Autonomie, Mitbestimmung, Selbstentfaltung, Unabhängigkeit, Mündigkeit und Emanzipation". Nach der alt bekannten Trennung von Privatem und Politischem versteht er es, all das zwar öffentlich zu propagieren und als "fortschrittlicher Denker" seine Karriere voran zu treiben, im eigenen Heim gebärdet er sich als Macho. Als Judith ihn darauf anspricht, redet er sich auf den Zwang der Arbeitsteilung aus. Er könne ja nichts dafür, und sie soll froh sein, dass er als Akademiker sich mit ihr abgibt. Die Streitereien häufen sich. Sie fühlt sich ausgenutzt und hält die Demütigungen – u.a. "nur noch als Unterleib für ihn brauchbar zu sein" – nicht mehr aus. Als sie sich wieder öfter sexuell verweigert und ihn darüber hinaus mit emanzipatorischen Fragen belästigt und auch den Haushalt vernachlässigt, reagiert er mit Wutausbrüchen und eines Tages verprügelt er sie zum ersten Mal: "Du bist nichts als eine kleine Laus, die ich, wenn ich es nur wollte, mit einer lässigen Bewegung zertreten könnte!". Dann zieht er aus und kündigt ihr die Scheidung an.

"Belebung": Unabhängigkeit schnuppern

Sie ist am Boden zerstört, weiß nicht, wie sie es mit drei kleinen Kindern und ohne Job alleine schaffen soll. In einem Brief an das Katholische Bildungswerk regt sie an, Seminare für Hausfrauen, doppelt belastete Frauen und Geschiedene abzuhalten. Daraufhin wird ihr eine Vormittagsstelle in der Mütterschule angeboten, in der sie selbst diese Kurse für Frauen gestaltet. Sie hat Erfolg, der Andrang und die Anerkennung sind groß. Sie blüht auf, hat sich an ein Leben ohne Mann gewöhnt. Es scheint aufwärts zu gehen. Plötzlich ist sie für ihren Mann wieder interessant. Er kommt öfter zu Besuch und will sie zurück gewinnen. "Mit seiner dramatischen Verzweiflung über die 'unglückseligen Verstrickungen' hat er meine Mutterinstinkte mobilisiert. Er hat seinen Kopf in meinen Schoß vergraben, über seine 'Torheit' geweint, mir seine 'unendliche Liebe' beteuert und mich angebettelt, ihn doch wieder 'aufzunehmen'". Gutgläubig lässt sie ihn wieder einziehen.

"Aufbruch" und "Kampf": Das neue Leben

"Der Mann, der zurück gekommen war, war der alte". Er beteiligt sich weder an der Betreuung der Kinder, noch am Haushalt. Er wünscht Full-Service und er will, dass sie ihren Beruf aufgibt. Darüber hinaus gebärdet er sich extrem eifersüchtig. Obwohl sie von nun an eine "offene Ehe" vereinbaren, die er für seinen Teil nur allzu gerne lebt, rastet er aus, weil sie eine platonische Beziehung mit einem Mann unterhält. "Er hat blindwütig auf mich eingeprügelt, und ich habe mich nur geduckt und seine Schläge ohne Widerstand über mich ergehen lassen. Der körperliche Schmerz hat mir wenig ausgemacht. Was mich gepeinigt hat, das war dieses entsetzlich demütigende Gefühl: Da schlägt dich jemand. Ich habe mich geschämt, geschämt, geschämt. Meine Menschenwürde! ... Ich habe mich geschämt, eine geschlagene Frau zu sein...". Dann beschimpft er sie unsäglich, als Hure, als ehrlose Sau, als Asoziale, als kleine Laus, als eine, die aus der Gosse kommt ...

Nun gibt es nichts mehr, dass sie an ihn binden könnte. Sie bereitet sich darauf vor, ihn zu verlassen. Und sie weiß, dass sie auch die Kleinstadt verlassen muss, in der Wolfgang aufgrund seiner politischen Position Kontakte hat, die es Judith schwer machen, eine Erwerbsarbeit zu finden, von der sie leben kann. Mit den beiden jüngeren Töchtern zieht sie in die Großstadt, ihre älteste Tochter bleibt zurück, stellt sich gegen sie, bedroht sie sogar.

Ihr Aufbruch ins neue Leben ist mit enormen Steinbrocken gepflastert. Das Problem mit der ältesten Tochter belastet sie sehr, die billige Wohnung ist desolat, ihr neuer Job als Sachbearbeiterin an einer Volkshochschule langweilt sie. Ihre Einsamkeit in der neuen Umgebung macht ihr sehr zu schaffen. Zwischendurch zweifelt sie daran, ob ihr Weggang gut war. Es dauert lange, bis sie festen Boden unter den Füßen findet. Doch irgendwann kann sie von sich sagen: "Ich bin ich, das Subjekt Judith Jannberg. Ich bin kein Neutrum, ich bin keine Maschine, ich bekenne mich zu meiner individuellen Geschichte, zu meinen Lebenserfahrungen...".

Relevanz des Buches heute

Wenn "Ich bin ich" in den 1980er-Jahren als der österreichische Emanzipationsroman schlechthin gegolten hat, dann liegt das – wie anfangs bereits angedeutet – vermutlich daran, dass Gerlinde Schilcher mit ihrer persönlichen Geschichte das ausgedrückt hat, was der Mehrheit der Frauen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen durchaus vertraut war. Die US-amerikanische Feministin Betty Friedan hat in ihrem Buch "Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau" diese Erfahrungen schon 1966 als strukturelles Syndrom beschrieben. Frauen werden durch patriarchale Sozialisationsmuster nicht nur in die als typisch "weiblich" definierten Rollen der Mutter, Hausfrau und des Sexsymbols gezwängt, sie werden nur allzu oft darauf reduziert. Dieses Syndrom einer Zurichtung auf den Mann konnte bedauerlicherweise bis heute nicht aufgelöst werden. Ebenso erweist sich die, insbesondere in Abhängigkeitsverhältnissen auftretende, "private" Gewalt an Frauen als eine Erscheinung, die nach wie vor zu beklagen ist, wie neueste Frauenhaus-Berichte belegen.

Und last, but not least, kann das von Gerlinde Schilcher ausführlich beschriebene Muster eines Beziehungsverlaufs als paradigmatisch ausgewiesen werden: Auf anfängliche Bewunderung der persönlichen Stärken einer Frau folgt nicht selten Abwertung, Betrug und Gewalt. Schafft sie es daraufhin erneut, sich zu emanzipieren, wird sie wieder interessant. Lässt sie sich nochmals in der Hoffnung eines Neubeginns auf ihn ein, dreht sich die Spirale weiter. Dieses Auf und Ab können viele Frauen anhand ihrer persönlichen Geschichten bestätigen.

Insofern also gegenwärtig weder das Werteverständnis gegenüber Frauen noch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ausgeglichen sind, hat das Buch dreißig Jahre nach seinem Erscheinen nichts an gesellschaftlicher und politischer Relevanz eingebüßt.
(Dagmar Buchta/dieStandard.at, 29.08.2010)