"Bitte zurücktreten" anstatt "Zug fährt ab"

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Es enthält eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die die Wiener Linien umsetzen wollen.

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Wien - Während die Staatsanwaltschaft noch ermittelt, ziehen die Wiener Linien bereits ihre eigenen Schlüsse aus dem Unfall, bei dem ein Fünfjähriger schwer verletzt wurde. Das Kind wollte bei der Station Enkplatz noch schnell in die U-Bahn hüpfen, wurde eingeklemmt und bis zum Ende des Bahnsteigs mitgeschleift. Im Auftrag der städtischen Verkehrsbetriebe erstellte der Sachverständige Günther Gfatter ein Sicherheitsgutachten zur U-Bahn. Und macht darin eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen.

Zentraler Punkt dabei ist, die Türfühlerkanten gegen wesentlich empfindlichere auszutauschen. Derzeit verhindern diese nämlich nur die Weiterfahrt des Zuges, wenn der in der Tür eingezwickte Gegenstand breiter als 5,5 Zentimeter (Silberpfeil) beziehungsweise 3 (V-Wagen) ist. Künftig sollen die Kanten bereits bei fünf bis zehn Millimeter reagieren. "Es ist mir nicht leicht gefallen, diesen Vorschlag zu machen" , sagt Gfatter, "weil ich weiß, was für ein enormer logistischer Aufwand das ist."

Elf Millionen für neue Türfühlerkanten

Die Umstellung soll bis 2019 abgeschlossen sein. Die Wiener Linien sind derzeit mit möglichen Lieferanten im Gespräch, elf Millionen Euro sollen die neuen Türfühlerkanten kosten. Dabei nimmt man sich ab 2012 erst die 20 alten Silberpfeile vor, 7000 Türen müssen insgesamt umgerüstet werden. Mehr Sicherheit soll außerdem eine neue Ansage für die Abfertigung des Zuges bringen. Statt "Zug fährt ab" soll ab September "Bitte zurücktreten" aus dem Sprachspeicher kommen. "Das ist im Gegensatz zu, Zug fährt ab‘ eine konkrete Aufforderung an den Fahrgast" , sagt Gfatter "und erhöht damit die Sicherheit."

Laut Wiener-Linien-Geschäftsführer Günter Steinbauer ist der Zeitpunkt für einen Ansagen-Wechsel gerade günstig. Denn angesichts der Einführung der Nacht-U-Bahn und der U2-Verlängerung müssten ohnehin einige Umsteige-Hinweise geändert werden. Der genaue Wortlaut der neuen Abfertigung ist allerdings noch nicht fix. Auch die Frage, wer sprechen darf, ist noch nicht geklärt. "Wir denken derzeit auch über eine synthetische Stimme nach" , sagt Steinbauer. Jahrzehntelang wurde das "Zug fährt ab" vom Fahrer selbst gesprochen, seit 2007 kommt es aber durchwegs aus der Konserve.

Halt, da ist ein Spalt

Ein weiterer Vorschlag des Gutachtens, den die Wiener Linien demnächst umsetzen wollen, ist das Anbringen von Piktogrammen, die vor dem Spalt zwischen Tür und Bahnsteig warnen. Vorbild ist dabei die Londoner U-Bahn, an einer halbwegs eleganten Übersetzung von "Mind the Gap" arbeitet man noch. Auf die Ein- und Ausstiege sollen aber auch die U-Bahn-Fahrer künftig besser achten: Mittels anonymisierter Videos der Bahnsteigüberwachung sollen U-Bahn-Fahrer in Schulungen das Verhalten der Fahrgäste analysieren und sich so aufs Abfertigen vorbereiten. Die U-Bahn-Fahrer seien zwar jetzt schon gut ausgebildet, ein Problem sei aber das geringere in-dividuelle Sicherheitsbewusstsein der Passagiere, betonen die Wiener Linien.

U-Bahnen könnten auch ohne Fahrer

Theoretisch könnte die Wiener U-Bahn seit ihren Anfängen Mitte der Siebziger auch ohne Fahrer im Untergrund unterwegs sein.Damals fürchtete man allerdings, dass sich die Stadtbewohner weigern könnten, in einen führer-losen Zug einzusteigen. Am menschlichen Faktor will man auch weiterhin festhalten: "Die neuen Türfühlerkanten bedeuten keine Automation der Abfertigung" , sagt Steinbauer "die Verantwortung liegt weiterhin beim Fahrer."

Das Gutachten zeige, dass es keinerlei Sicherheitsmängel gebe. Der Unfall sei ein "Einzelereignis" gewesen, so Steinbauer. Dabei habe der Fahrer offenbar verabsäumt, vor dem Losfahren einen letzten Kontrollblick zu tätigen. "Andernfalls hätte die Sache wahrscheinlich verhindert werden können." Der Fahrer ist seither vom Dienst freigestellt. (Martina Stemmer, DER STANDARD-Printausgabe, 20.08.2010)