Überzeugungen und Motive sollen laut Bernd-Christian Funk nicht bestraft werden - sondern lediglich die Taten als solche.

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Wien - Montagvormittag gegen elf Uhr öffnete sich für die vier jungen Leute die Gefängnispforte: Ende der U-Haft für drei Wiener Kunststudentinnen und ihren männlichen Kommilitonen, die laut Staatsanwaltschaft an einem Brandanschlag auf zwei Mistkübel vor der Filiale des Arbeitsmarktservice Redergasse am 27. Juni beteiligt gewesen sein sollen.

Doch die Enthaftung gilt nur bis auf Weiteres. Die Staatsanwaltschaft Wien hat sich gegen die Entlassung nach sechs respektive vier Wochen etwaige Rechtsmittel vorbehalten. Auch die Strafandrohung ist hoch: Neben Ermittlungen wegen Brandstiftung und schwerer Sachbeschädigung - laut Arbeitsmarktservice beläuft sich der Schaden an Kübeln und Außenwänden auf rund 100.000 Euro - steht nach wie vor eine Ausweitung der Vorwürfe vom "verbrecherischen Komplott" auf die "Bildung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" im Raum, mit einem Strafrahmen von bis zu zehn Jahren.

Frage nach umfassenden politischen Zielen

"Ob es dazu kommt, wird sich erst im Laufe der weiteren Ermittlungen herausstellen" , sagte dazu am Montag die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Michaela Schnell. Ausschlaggebend für oder gegen Terrorermittlungen werde sein, "was die Gruppe bezweckt hat - und mit welchen Mitteln" . Die Frage sei, ob es sich um umfassende politische Ziele handle, die mittels strafbarer Taten erreicht werden sollten.

Zudem, so Schnell, würden "noch mehr Täter vermutet" : Alles in allem also eine schwerwiegende Verdachtslage: "Andernfalls wären die vier wohl nicht so lang in U-Haft gesessen."

Experte kritisiert 278er Paragrafen

Für den Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk ist dies eine "problematische Argumentationsumkehr" . Dass die U-Haft so lang war und die möglichen strafrechtlichen Vorwürfe gegen die Studierenden derart schwerwiegend sind, habe vielmehr auch mit den zur Anwendung kommenden Gesetzen gegen organisierte Kriminalität zu tun. Diese würden "über das Ziel hinausschießen. Mit den 278er-Paragrafen des Strafgesetzbuches droht eine Abkehr von einer Errungenschaft des Strafrechts im 18. und 19. Jahrhundert, nämlich, dass man damals dazu übergegangen ist, statt Überzeugungen Taten als solche zu bestrafen" , kritisiert der Experte.

"Konstruktionsfehler"

Stattdessen, so Funk, stehe bei Ermittlungen wegen Mafia- oder Terrorverdachts jetzt erneut die Motivation des Verdächtigen im Mittelpunkt. Ein Schuldspruch laut Paragraf 278 und Folgebestimmungen sei es auch ohne Beweise möglich, an einer kriminellen Tat beteiligt gewesen zu sein: Ein "Konstruktionsfehler" , durch eine zu breit gefasste Formulierung (siehe "Wissen" ), der repariert werden müsse. Funk: "Sonst könnten sich derartige Terror- und Mafiaermittlungen in Zukunft häufen" .

Ähnliche Kritik von Funk und anderen Rechtsexperten ist auch bereits in Zusammenhang mit dem Tierschützerverfahren aufgekommen: Wie berichtet, stehen 13 Aktivisten wegen des Verdachts, einer "kriminellen Organisation" anzugehören, seit Monaten vor Gericht. Bei gewalttätigen Sorgerechtsaktivisten und gegen Ex-Hypo-Chef Wolfgang Kulterer besteht ebenfalls Verdacht krimineller Organisation. (Irene Brickner, DER STANDARD-Printausgabe, 24.08.2010)