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Bis zu hundert Embedded Systems sind heute in einem Luxusauto verbaut. Rössler: "Der Leidensdruck ist offensichtlich noch nicht groß genug."

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Mehr als drei Viertel aller Fehler von elektronischen Komponenten im Auto gehen auf das Konto von schadhafter Software. Die kapitalsten Fehlfunktionen am Fahrzeug treten oft durch die Vernetzung einzelner eingebetteter Systeme auf. Mit dem "Coordes"-Chip der Fachhochschule Technikum Wien wird erstmals eine Diagnose der Gesamtsysteme möglich.

STANDARD: Autos mit Computern sind oft fehlerhafter als solche ohne. Warum bauen wir "dumme Computer" nicht wieder aus?

Rössler: Diese Frage stelle ich mir manchmal auch.

STANDARD: Aber?

Rössler: Neunzig Prozent der Innovationen im Automobilbau gehen heute auf das Konto von Elektronik: Wir bauen sie ein zur Komfortsteigerung, um etwas für die Umwelt zu tun, zur Verbesserung der Sicherheit. Nun können bei mechanischen Systemen genauso Fehler passieren, allerdings wurden diese bereits über Jahrzehnte analysiert. Wahrscheinlich brauchen wir auch zur Erprobung der Software einfach nur mehr Zeit.

STANDARD: Sollte die Testphase nicht vor dem Einbau stattfinden?

Rössler: Die Frage ist eher, wo im Auto Elektronik eingesetzt wird. Ich sehe die Zukunft in unterstützenden Systemen wie das beim ABS der Fall ist. Fällt dort die Elektronik aus, hat man immer noch das traditionelle Bremssystem.

STANDARD: Was kann im Extremfall durch Softwarefehler passieren?

Rössler: Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Autohersteller werden sagen: "So gut wie nichts." In Autozeitschriften können sie nachlesen, dass bei 140 km/h aufgrund von Systemfehlern plötzlich der Motor ausgefallen ist.

STANDARD: Das ist definitiv mehr als "So gut wie nichts". Kapitale Fehlfunktionen sind also möglich?

Rössler: Prinzipiell ja. Für uns ist es aber schwierig zu beurteilen, was die genauen Ursachen dafür sind. Wir arbeiten zwar mit Herstellern zusammen, können aber nicht in deren Systeme hineinschauen. Und der Komponentenlieferant, der seine Teile getestet hat, weiß wiederum nie genau, wie sich diese nach dem Einbau durch den Automobilbauer im Zusammenspiel mit anderen Systemen verhalten.

STANDARD: Fehler treten erst durch die Vernetzung der Systeme auf?

Rössler: Meistens. Es gibt dafür den Fachausdruck vom "brabbelnden Idioten": Ein Gerät, das am Netzwerk hängt, beginnt plötzlich zu spinnen und stört so die Kommunikation aller anderen Systeme. Das passiert auch im Internet, oft verbergen sich dahinter gezielte Attacken. Nun wird versucht, im Auto Netzwerke zu verwenden, die anders als das Internet strukturiert sind. Jedes Gerät am Netzwerk bekommt nur einen Zeitschlitz, zu dem es überhaupt Nachrichten senden darf. Das schließt bereits viele Fehlerquellen aus.

STANDARD: Und wie suchen Sie nach der eigentlichen Ursache - nach den Fehlern in der Software?

Rössler: Der traditionelle Ansatz ist, die Geräte einzeln zu testen. Aber das bringt uns nicht weiter. Wir müssen alle Komponenten im Netzwerk im Zusammenspiel testen, dafür ist eine Uhrensynchronisation in diesen eingebetteten System notwendig.

STANDARD: Was heißt das?

Rössler: Ich will auf Millionstelsekunden genau wissen, was im Steuergerät 1, 2 oder 3 passiert. Die diesbezüglichen Informationen werden dann zeitlich koordiniert auf einen Zentralcomputer übermittelt, wo ich mir die Diagnose später gemütlich anschauen kann. Erst dadurch erkenne ich Zusammenhänge, weil ich weiß, was zum Zeitpunkt A im Gerät 1 geschah und zum Zeitpunkt B im Gerät 2. So können mehr Fehlerszenarien durchgespielt werden.

STANDARD: Und das funktioniert unabhängig von der Automarke?

Rössler: Genau das ist unser Ansatz. Ein Mikrochip wird in eingebetteten Systemen verbaut, die vollkommen unterschiedlich sein können. Nun gibt es aber gerade im Bereich der Funktionstests Industriestandards für Schnittstellen, unser Mikrochip setzt auf diesen Standards auf. Allerdings müssten die Hersteller unseren Chip dann auch in ihre elektronischen Komponenten integrieren.

STANDARD: Werden sie das tun?

Rössler: Wir haben zumindest bisher noch keine Rückmeldungen à la "Das brauchen wir nicht" oder "Das gibt's schon" bekommen.

STANDARD: Apropos "Gibt's schon": Vor Ihnen hat noch niemand diesen Lösungsansatz gefunden?

Rössler: Nicht in dieser Form, deshalb ist er patentiert. Was man aber aus den Gesprächen mit Herstellern heraushört, ist, dass man es genauso gut mit traditionellen Testmethoden zu einem ähnlichen Ergebnis bringt. Offensichtlich ist der Leidensdruck noch nicht groß genug. Irgendwann wird aber der Punkt erreicht sein, wo es so viele eingebettete Systeme im Auto gibt, dass sich diese Einschätzung ändert. In Automobilen der Luxusklasse findet man heute bis zu hundert verschiedene Embedded Systems, der Trend geht weiter in diese Richtung.

STANDARD: Gemessen an den Zores, die sich Hersteller durch den Chipeinbau ersparen würden - wäre die Zeit nicht doch schon reif?

Rössler: Rechnet man das mit einer Rückholaktion auf, in jedem Fall. Dennoch ist der Einbau mit einem Erstaufwand verbunden.

STANDARD: Was kostet denn die Integration des Chips?

Rössler: Der Chip selbst kostet ein bis zwei Euro und die Software praktisch nichts. Der Aufwand für die Integration kann einmalig in die Millionen gehen, aber es bleibt bei einem Bruchteil von dem, was eine Rückholaktion kostet.

STANDARD: Greifen wir ein beliebiges Beispiel aus der Luft: Wie erfährt Toyota, dass die Lösung seiner Probleme in Wien liegt?

Rössler: Potenzielle Nutzer sind die Komponenten-, nicht die Autohersteller. Das birgt für uns ein Henne-Ei-Problem: Die Autobauer würden den Chip verwenden, gäbe es ihn schon in großer Anzahl. Die Halbleiterhersteller sagen: "Wir bauen ihn ein, wenn es von den Autofirmen Bedarf gibt."

STANDARD: Ist der Chip marktreif?

Rössler: Technisch gesehen, ja. Aber die Firmen interessiert derzeit, wie sie bei hohen Stückzahlen auf geringe Kosten kommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.08.2010)

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Wissen: Im Studio zur schnellen Marktreife

Das laufende Projekt der Fachhochschule Technikum Wien "Coordes" (kurz für Coordinated Test, Debugging and Diagnosis in Distributed Embedded Systems) ist eines von vierzehn "Research Studios Austria". Mit den Research Studios hat das Wirtschaftsministerium 2008 ein neues Forschungsförderungsprogramm initiiert, das die Anwendung und Umsetzung von Ergebnissen im Vorfeld unternehmerischer Forschung unterstützt. Die gesamte Bundesförderung beträgt rund neun Millionen Euro für alle Studios mit einer maximalen Laufzeit von drei Jahren.

Die Studios sollen Themen aufgreifen, die rasch in marktfähige Produkte oder Dienstleistungen umgesetzt werden können und auf breiter Basis Anwendung finden. Zudem sollen sie gemeinsam mit Unternehmen eine Brücke zwischen der Grundlagen- und der angewandten Forschung schlagen.

Die Evaluierung während der Laufzeit ist Bedingung, es finden laufend Prozessoptimierungen auf dem Weg von der Idee zum Markt statt. Unterstützt werden die Studios dabei von der Forschungsförderungsgesellschaft. (saum)